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Musik von berückender Schönheit

Konzerttage eröffnen mit Gegenüberstellung von Alter und Neuer Musik

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Mit einer interessanten Gegenüberstellung von Alter und Neuer Musik haben Marienkantorei und die mit Bielefelder Philharmonikern besetzte »Camerata St. Mariae« die Konzerttage der Innenstadtkirchen eingeleitet.

»Missae variae II« lautete, bezugnehmend auf eine eigene kirchenmusikalische Reihe in der Neustädter Marienkirche, der Titel des von Kirchenmusikdirektorin Ruth M. Seiler zusammengestellten Programms, bei dem sich barocker polyphoner Jubelgesang und modal abgeklärte Frömmigkeit der Moderne ergänzten.
Wer bei dem 1946 in Lettland geborenen Peteris Vasks an kakophone Eskapaden und stimmliche Experimente denkt, der irrt. Vasks, der seine Inspiration aus dem Leidensweg seines Volkes und dessen singender Selbstbefreiung 1990/91 bezieht, schreibt Musik von berückender Schlichtheit. Seine ungekünstelte Tonsprache ist von großer Klarheit, Schönheit sowie emotionaler Intensität und Dichte.
Mit dem »Pater noster« und »Dona nobis pacem« erklangen in den 90er Jahren komponierte Werke für gemischten Chor und Streicher - beides innige Gebete, deren ruhige Klarheit leicht über den gesangs- und spieltechnisch hohen Anspruch hinwegtäuscht.
Neben der »Camerata« als professionellem, verlässlichen Partner hatte Ruth M. Seiler ihre Kantorei auf stimmlichen Feinschliff eingestellt, so dass das »Pater noster« in seinem facettenreichen dynamischem An- und Abschwellen und in seiner dezenten Emphase sehr anrührend rüber kam.
Deutlich schwieriger war es, die sich reibenden, kleinen Intervallabstände im »Dona nobis pacem« stets genau zu treffen. Gleichwohl gelang es, das litaneiartige Werk mit seinen überirdisch flirrenden Geigenklängen und ruhig schwebenden Gesangspassagen wunderbar gefühlvoll zu gestalten, auf dass sich nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen, leicht modulierten Wiederholungen eine geradezu soghafte Wirkung entfaltete.
Neben dem faszinierend Neuen platzierte Seiler mit Johann Sebastian Bachs Missa-Fragment in F-Dur und »Sanctus« in D-Dur Vertrautes und Altbewährtes. Und obwohl damit virtuos-konzertantes Figurenwerk in einem denkbar großem Kontrast zu Vasks' ruhenden, meditativen Werken stand, ging die Rechnung auf. Denn in der Intensität des musikalischen Gotteslobes und der Anbetung bilden Vasks und Bach eine wunderbare Synthese.
Letzterer erklang in lichter Durchzeichnung und euphorischer Beweglichkeit im Chor, ergänzt um vortreffliche Gesangssolisten, namentlich Sigrid Heidemann (mit strahlendem, unmanieriertem Sopran), Beate Westerkamp (mit warmem Timbre und schwungvoll-geschmeidig in den von der Primgeige umspielten Melismen) sowie Roman Tsotsalas, der dunkle Klangrundung sowie Frische und emphatische Ausdruckskraft verband.
Alles in allem eine bewegende Konzertstunde.

Artikel vom 31.10.2006