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Große Uhren machen
tick-tack, kleine ticke-tacke

»Musik voll fett« wandelte auf den Spuren der Zeit

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). »Jetzt aber Tempo! Die Zeit in der Musik« hieß es am Sonntag bei der zweiten Veranstaltung der Kinderkonzertreihe »Musik voll fett« im ausverkauften Stadttheater. Die Bielefelder Philharmoniker, unterstützt von »Tempomacherin« Carolin Nordmeyer und »Zeitvertreiber« Dr. Uwe Sommer, bewiesen, dass man ein hochphilosophisches und physikalisch komplexes Thema durchaus kindgerecht und unterhaltsam gestalten kann.

Johann Strauß' zur Endlosschleife gewundener musikalischer Scherz »Perpetuum Mobile« hört, einmal begonnen, gar nicht mehr auf. Als physikalisches Phänomen zwar undenkbar, wusste Strauß doch zumindest musikalisch die Illusion eines sich ständig erneuernden und aus sich selbst speisenden Bewegungssystems zu schaffen. Auf Dauer ganz schön langweilig. Deshalb darf man getrost »aufhören« brüllen oder wie Uwe Sommer mit einem energischen Sprung Einhalt gebieten, auf das das Eis zwischen Groß auf der Bühne und Klein im Saal ganz schnell zu schmelzen beginnt.
Das Konzept locker, lustig und integrativ bewährte sich auch diesmal wieder. Macht ja auch einfach Spaß, aufzuzählen, welche Zeitmesser man kennt und wann einem die Zeit schneller oder langsamer vergeht. Alles subjektive Eindrücke, die im Experiment untermauert wurden und die überraschende Erkenntnis brachten, dass Musik die kurzweiligste Sache von allen anderen angebotenen Alternativen (Stillsein, Klatschen, Lachen) ist.
Dass auch die übergebührend lange Konzertzeit -Ê eineinhalb Stunden statt die üblichen 60 Minuten - flugs verging und die Kinder bei der Stange blieben, dafür sorgen geschickt aneinander gereihte und erläuterte Musikwerke, die beispielhaft unterschiedliche Aspekte der Zeit heraushoben, im Wechsel mit zahlreichen Mitmachgelegenheiten.
So folgte auf das gemeinsam gesungene Kinderlied »Große Uhren machen tick-tack« ein mit »Die Uhr« betitelte Satz aus einer Haydn-Sinfonie. Auf ein Experiment zur Zeitempfindung ein Intermezzo aus Maurice Ravels Oper »Die spanische Stunde«, auf ein Zeit-Raum-Experiment Charles Ives' »The unanswered Question« mit räumlich klar getrennten Instrumenten-Gruppen und so weiter und so fort.
Mag sein, dass nicht jeder die Kunst der ausgeklügelten Bachschen Kompositionstechnik mit Thema, Umkehrung und Diminution verstanden hat. Aber bei Ravels berühmten »Bolero« saßen alle wieder wie angenagelt auf ihren Polstern, um dem riesigen Orchester-Crescendo zu lauschen, während an der rückwärtigen Bühnenwand unmerklich die Zeiger einer Uhr vorrückten -Ê 15 Minuten, die sich irgendwie viel kürzer anfühlten. Das Publikum war begeistert.

Artikel vom 31.10.2006