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Leben nach
der Devise
»Jetzt oder nie«

Udo Jürgens in der Seidenstickerhalle

Von Thomas Albertsen
und Carsten Borgmeier (Foto)
Bielefeld (WB). »Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an«, singt Udo Jürgens unter dem Beifall seiner Fans. Und wirkt dabei so, als sei diese Marke noch in endloser Ferne.

Am Freitagabend in der Bielefelder Seidenstickerhalle bewies der Klagenfurter, dass er mit dem Fortschreiten der Jahrzehnte geradezu alterslos zu werden scheint. Dass er der 76 mittlerweile näher ist als der 66 -Êman mag es kaum glauben. Immer noch versprüht der Troubadour der gehobenen Unterhaltung Energie, Lebensfreude und zehrt von seinem schier unerschöpflichem künstlerischen Potenzial. Stände er nicht selbst auf der Bühne, würde er es wohl seinen Fans gleichtun, die es in der zweiten Konzerthälfte traditionell nicht mehr auf den Beinen hält, vor die Bühne stürmen und dort eine ausgelassene Party feiern.
Von Udo Jürgens lernen, heißt Leben lernen. Raus aus der Einsamkeit, Leben nach der Devise »jetzt oder nie«, sich Erinnerungen schaffen -Êdazu ruft er in seinen neuen Liedern auf. Man muss ja nicht punktgenau eine so schillernde Vita wie der mittlerweile 72jährige Schwerenöter anpeilen. Aber egal, ob Udo ganz charmant und intim über den Zauber der Liebe oder philosophisch und mit großem Pathos über den Zeitgeist singt -Êkaum ein Künstler wirkt so glaubwürdig wie er und ist dabei zugleich so mitreißend.
Natürlich boten Udo und das bestens aufgelegte, mittlerweile stark verjüngte Orchester Pepe Lienhard eine erstklassige Show, die gleichermaßen neue Lieder und beliebte Evergreens enthielt. Aber was macht die Faszination dieses Künstlers eigentlich aus? Udo Jürgens ist zuallererst ein großartiger Komponist, der es perfekt versteht, musikalische Pointen zu setzen, große Gefühle auszudrücken und Stimmungen zu erzeugen. Außerdem hat er ein treffsicheres Gespür dafür, wie man diese Stimmungen so wohldosiert einsetzt, um das Publikum von der ersten Minute an in seinen Bann zu ziehen und mehr als zwei Stunden später glücklich ins Wochenende zu entlassen. Ein Udo-Jürgens-Konzert ist eben mehr als ein Event, es ist in erster Linie ein musikalisches Erlebnis. In der Seidenstickerhalle sah man am Freitag junge Schlagerfans und kernige Altrocker, Abonnenten klassischer Konzertzyklen ebenso wie »party people«. Udo Jürgens vereint nicht nur die Generationen, er überbrückt auch Weltanschauungen und Lebensstile mit seiner Kunst. Und er spricht schonungslos Dinge an, von denen er weiß, dass sein Publikum ähnlich denkt, seien es die »Spritztouren von Jan Ullrich« oder der Döner, der nun »Gammelhammel« heiße. Das sind Gags, die zünden überall. Aber auch für Bielefeld hatte der Mann am Klavier ein paar freundliche Worte: »Ich glaube, auf meinen 20 großen Tourneen bin ich nur in Hamburg noch öfter gewesen als in Bielefeld. Mit dieser Region hier verbindet mich etwas. Hier habe ich ganz besonders treue Fans. Und leider ist die Oetkerhalle mit ihrer fantastischen Akustik nun etwas zu klein für meine Shows«. Und er schwärmt geradezu vom vormittäglichen Spaziergang auf dem Hermannsweg von der Sparrenburg Richtung Oerlinghausen: »Tolle Aussichten auf die Stadt, hier gefällt es mir.«
Und die Liebe wurde erwidert -Êes waren vielleicht nicht ganz so viele Blumen wie in früheren Zeiten, die die Fans ihrem Star auf die Bühne reichten -Êdafür gab es aber ein besonders prachtvolles Rosenbukett und ein selbstgemachtes »Herzbild«. Und da merkte man Udo an: Auch nach so vielen Jahren mit so großen Erfolgen kann der Mann sich ehrlich freuen. Und er versprach den Bielefeldern: »Ich komme wieder! Ganz bestimmt«. Da waren sich die Fans dann ganz sicher, dass das Tourneemotto »Jetzt oder nie« nicht auf den Abschied von der Bühne hindeutete.

Artikel vom 30.10.2006