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RAF-Kampf in Schiller-Zitaten

»Ulrike Maria Stuart« uraufgeführt

Von Ekkehard Rossmann
Hamburg (dpa). »Ulrike Maria Stuart« - ein Spiel der Stimmen über vier Frauen, die Geschichte machten ist vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen worden.
Meinhof (Susanne Wolff, l.) und Ensslin (Judith Rosmair) singen in »Ulrike Maria Stuart«.

Den »Königinnen«-Kampf zwischen Elisabeth I. von England und ihrer Gegnerin Maria Stuart spiegelt die österreichische Dramatikerin und Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek anhand von Schiller-Zitaten in den Rivalitäten der beiden RAF-Führerinnen Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin wieder. Sie rechnet mit der Utopie ab, mittels einer Stadtguerilla die Gesellschaft verändern zu wollen, und zeigt das Scheitern der RAF-Aktivistinnen aus persönlichen wie politischen Gründen. Die Besucher der Uraufführung im Hamburger Thalia Theater zeigten sich von der Umsetzung begeistert.
Nach einer öffentlichen Probe im Mai, die die Publizistin Bettina Röhl besucht hatte, sah sie ihre Persönlichkeitsrechte verletzt. Röhl ist die Tochter Meinhofs und warf Jelinek Verfälschung historischer Tatsachen und unerträgliche Glorifizierung des RAF-Mythos vor. Seitdem verhandeln die Rechtsanwälte beider Seiten, doch die Uraufführung ging ungehindert über die Bühne. Allerdings hatte Regisseur Nicolas Stemann kleinere Änderungen vorgenommen.
In seiner dritten Jelinek-Inszenierung verfährt Stemann wieder nach seiner Methode, die verschachtelten Textflächen des Stücks auf spielerisch-leichte Art aufzulösen. Die Form einer Nummernrevue ermöglicht ihm, filmische, musikalische und parodistische Mittel einzusetzen. Er zeigt ein Theater im Theater: Erst öffnet sich ein Vorhang, dann ein zweiter, der die Show-Treppe mit drittem Vorhang freigibt. Stemann führt nicht nur das Scheitern der RAF vor, sondern auch das Problem der Deutung dieser Führerinnen-Figuren, deren Kämpfen vor allem das Reden ist, aus heutiger Sicht.
Die Episode von Ensslins Verhaftung singt Judith Rosmayr als flotten Pop-Song, liefert sich mit der Rivalin in den historischen Kostümen von Elisabeth und Stuart ein komisches Blockflöten-Duell. Im großen Monolog schafft es Susanne Wolf als Ulrike Meinhof, etwas von der persönlichen Krise der Terroristin zu vermitteln und gleichzeitig ihr Unverständnis für die RAF-Aktivistin auszudrücken, die sich schließlich selbst umbrachte.
Das Stück pendelt genial zwischen Ernst und Scherz, ohne in puren Ulk auszuarten. Zwar ähnelt das Herumsauen der nackten Schauspieler mit Ketchup, Schlagsahne und Wasserbomben einem anarchischen Kindergeburtstag, doch macht die kabarettistische Szene Sinn: In der Spaßgesellschaft, deren Stars Robbie Williams und Madonna sind, ist Revolution unmöglich - trotz Ungerechtigkeiten im Namen von Kapitalismus und Profit.

Artikel vom 30.10.2006