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Gewalt in Frankreich flammt wieder auf

Jugendliche zünden Bus an - 26-Jährige in Lebensgefahr

Paris (dpa). Kurz nach dem Jahrestag der Herbstkrawalle in Frankreichs Vorstädten hat es am Samstagabend in Marseille einen ersten schweren Zwischenfall gegeben. Eine 26-jährige Frau wurde in einem von Jugendlichen in Brand gesetzten Bus lebensgefährlich verletzt.Polizisten vor dem Wrack des Linienbusses: Bei dem Brandanschlag in Marseille erlitt eine 26-Jährige lebensgefährliche Verbrennungen.

Fast 70 Prozent ihrer Haut seien verbrannt, hieß es gestern in einer Krankenhausmitteilung. Drei weitere Insassen erlitten leichte Rauchvergiftungen.
Der französische Staatspräsident Jacques Chirac brachte in einem Telefongespräch mit der Familie der jungen Frau seine Abscheu vor diesem »niederträchtigen Akt« zum Ausdruck. Jugendliche im Alter von etwa 15 Jahren überfielen den Bus an einer Haltestelle, schütteten Benzin ins Innere und zündeten das Fahrzeug an, bevor sie die Flucht ergriffen. Gestern weigerten sich die Marseiller Busfahrer, ihren Dienst aufzunehmen. Innenminister Nicolas Sarkozy ordnete eine verstärkte Polizeipräsenz an. 160 zusätzliche Polizisten wurden nach Marseille geschickt.
Die Hafenstadt Marseille, die zweitgrößte Metropole Frankreichs, war bisher weitgehend von den Unruhen verschont geblieben. Die Brandstiftungen der vergangenen Tage konzentrierten sich, wie auch im letzten Jahr, im Wesentlichen auf den Pariser Raum.
So kam es am Samstag in Grigny im Département Essonne südwestlich von Paris zu Ausschreitungen gegen Sicherheitskräfte, bei denen vier Polizisten leicht verletzt wurden. Mindestens sieben Busse wurden in den vergangenen Tagen angezündet, davon sechs im Raum Paris.
Das Anzünden von Bussen ist kein neues Phänomen, doch beunruhigt die Zunahme der Brandstiftungen seit Anfang der Woche Polizei und Regierung. »Ein Auto anzünden kann jeder, doch einen Bus in Flammen aufgehen zu lassen, verschafft den Jugendlichen bei Ihresgleichen mehr Ansehen«, sagte ein Polizist. Premierminister Dominique de Villepin rief für heute eine Sitzung zum Thema Sicherheit in öffentlichen Verkehrsmitteln ein.
Trotz des schweren Zwischenfalls in Marseille bezeichnete die Polizei die Nacht zum Samstag als weit gehend ruhig. Insgesamt gab es 47 vorläufige Festnahmen, davon 34 im Umland von Paris. Die befürchteten großen Unruhen zum Jahrestag der Herbstausschreitungen blieben bisher aus. Aus Sorge vor neuen Krawallen an diesem Wochenende wurden 4000 Sicherheitskräfte zusätzlich für die Problemviertel bereitgestellt.
Auslöser der Unruhen vor einem Jahr war der Tod von zwei Jugendlichen, die sich auf der Flucht vor der Polizei in einem Transformatorenhaus versteckt hatten und an Stromschlägen gestorben waren. In den zumeist von Emigranten bewohnten Vorstädten wurden in den folgenden Wochen mehr als 10 000 Fahrzeuge angezündet sowie mehr als 300 Schulen und öffentliche Gebäude verwüstet.

Artikel vom 30.10.2006