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System-Kritiker Klaus Fischer:
»Wir brauchen Außenstürmer«

Der ehemalige Torjäger über FC Schalke 04 und sein Leben im Strafraum

Von Klaus Lükewille
Bielefeld (WB). Seine Spezialität war der Fallrückzieher. Mit einem solchen Kunstschuss erzielte Klaus Fischer (56) beim 4:1 gegen die Schweiz im November 1977 sogar das »Tor des Jahrhunderts«.

Seine Spezialität ist immer noch der Fallrückzieher: »Ich mache noch hundert pro Jahr.« Als »Lehrer« in seiner Fußball-Schule, die er schon seit 1997 betreibt. Im Moment muss der Fußball-Torjäger allerdings eine kleine Auszeit einlegen: »Der Rücken zwickt, das hatte ich noch nie.«
Eine Verletzung, die Fischer aber keine Sekunde zögern ließ, als der Bremer Ex-Nationalspieler Max Lorenz (67) um Hilfe bat: Er sollte Uwe Seeler nach Bielefeld bringen, der als Ehrengast eingeladen war. Hier fand am Freitag in der Sporthalle Millenium der 7. Menke Soccer-Cup statt, eine Benefiz-Veranstaltung mit vielen Altstars. Der Erlös ging an den Verein Kinderlachen, an das Herzzentrum in Bad Oeynhausen, die Fördergemeinschaft Laibach-Hof und die Uwe Seeler-Stiftung.
Doch der Hamburger musste absagen. Eine Grippe verhinderte sein »Gastspiel«, Lorenz wählte die Nummer von Fischer. Es war der richtige Anschluss. »Es ist für mich eine Ehre, dass ich den Uwe vertreten darf«, sagte der 45fache Internationale, der zwischen 1968 und 1988 in 535 Bundesliga-Partien für 1860 München, FC Schalke 04, den 1. FC Köln und den VfL Bochum 268 Treffer erzielte.
Es war ein Leben im Strafraum. Und diesen eingekreideten Spielbereich vor dem Kasten hat Fischer natürlich auch heute noch im Blick. Die Nachfolger tun ihm da längst leid, denn so glänzende Vorarbeiter wie Fischer sie hatte, die gibt es nicht mehr: »Stan Libuda, Erwin Kremers oder Rüdiger Abramczik, das waren noch Typen. Die konnten noch flanken. Und heute? Da segeln die Bälle doch meistens hoch über die Köpfe der Stürmer weg.« Er bedauert die neue Taktik, der die klassischen Außenstürmer zum Opfer gefallen sind: »Dadurch ist der Fußball schneller, aber nicht schöner und attraktiver geworden.«
Was Fischer ja auch bei »seinem« Verein feststellen muss: »Die Schalker bieten dem Publikum viel zu wenig.« Der Mann aus dem bayerischen Zwiesel hat Gelsenkirchen längst zu seiner neuen Heimat erklärt, sein Herz hängt an den »Königsblauen«. Fischer lässt kein Heimspiel aus, er verfolgt dabei mit Kennerblick vor allem die Torjäger. Zwei Angreifer hat er bewundert, sie waren für ihn die ideale Sturmkombination: »Der Ebbe Sand und der Emile Mpenza, die passten zusammen. Das war Spitzenklasse.« Und fast sogar meisterlich. Nur Sekunden fehlten 2001 zum Titel und Fischer ist heute noch sauer, dass in Hamburg ein später Freistoß die Bayern jubeln ließ: »Der blöde Merk.«
In Schalke spielt Fischer den Rasenrichter - und beurteilt die Angreifer. Von Mike Hanke hält er gar nichts. »Gut, dass der Junge weg ist. Für die vier Millionen Euro Ablöse hätte ich ihn sogar persönlich mit der Schubkarre nach Wolfsburg gefahren.«
Dagegen bedauert der strenge Tribünengast, dass Ailton nicht mehr für Schalke aufläuft. »Das hatte Ralf Rangnick zu verantworten. Dieser Trainer verstand es nicht, den Brasilianer richtig einzusetzen. Toni war ein Torjäger. Das war kein Mann, der auch noch Abwehrarbeit leisten konnte.«
Im modernen Fußball wird das aber immer mehr erwartet - und da outet sich Fischer erneut als System-Kritiker, sieht hier auch die Probleme von Kevin Kuranyi. Schalkes Spitze steht scharf in der Kritik. »Der setzt sich zu sehr unter Druck. Er sollte sich auf seine Hauptaufgabe konzentrieren können: Er soll Tore schießen. Dann ist alles in Ordnung.« Es muss ja nicht gleich ein Fallrückzieher sein. Die beherrschte ohnehin keiner so wie Fischer.

Artikel vom 28.10.2006