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Wenn das Kind Hilfe braucht
Lesertelefon: Was tun bei Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivität (ADHS)?
Früher sprach man vom »Zappelphilipp«. Längst aber weiß man, dass eine neurobiologisch bedingte Funktionsstörung, eine Stoffwechselstörung im Gehirn, dahinter stecken kann, wenn Kinder unkonzentriert, sprunghaft, überaktiv sind: ADHS.
Das Kürzel steht für Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung - und der Aufklärungsbedarf dazu ist nach wie vor groß. So hatten Gerda van Hove, Kinderärztin in Bielefeld, und Dr. Ulrich Stadler, Kinder- und Jugendpsychiater in Hannover, beim »Lesertelefon« zu diesem Thema keine freie Minute. Nachfolgend einige repräsentative Fragen und die Antworten.

Wir wurden auf das ständig störende Verhalten unseres Enkels in der Schule angesprochen. Er ist oft bei uns Großeltern, denn die Eltern sind geschieden und die Mutter arbeitet viel. Der Junge ist auch bei uns ungeduldig, fordert viel Aufmerksamkeit. Hat er ADHS?Auffällig ist die schwierige soziale Situation des Kindes. Es hat durch die wechselnden Ansprechpartner eventuell zu wenig feste Strukturen im Leben und reagiert daher mit Impulsivität. Sie können sich, bevor Sie sich für den Besuch beim Kinderpsychiater entscheiden und Ihren Enkel auf ADHS testen, an eine psychologische Beratungsstelle ihrer Stadt wenden.

Bei meinen Kind wurde ADHS diagnostiziert. Muss es nun Medikamente nehmen? Ich habe einen Fernsehbericht über ein Medikament mit dem Wirkstoff Methylphenidat (MPH) gesehen. Das Kind war dann so anders.Wenn ADHS feststeht und andere Therapien nicht ausreichen, dann bieten Medikamente eine Chance. Oft ermöglichen Sie die Teilnahme an einer Verhaltenstherapie sogar erst. Unter Medikamenten zeigt sich oft, wie das Kind im normalen Zustand wäre. Welches Medikament letztlich verschrieben wird, kommt immer auf das Kind an. Es gibt derzeit zwei Wirkstoffe, für die Sie sich mit Ihrem Arzt entscheiden können. Bei Atomoxetin (ATX) ist das von Ihnen beschriebene »Anderssein« weniger zu erwarten, weil es kontinuierlich wirkt. MPH wirkt nur über einen bestimmten Zeitraum nach der Einnahme, etwa während der Schulstunden.

Frage: Kann mein Kind von ADHS-Medikamenten drogenabhängig werden?Es ist häufig eher umgekehrt. Wenn Ihr Kind von ADHS betroffen ist und Sie diese nicht behandeln, ist die Gefahr, dass Ihr Kind sich später einer drogengefährdeten Gruppe anschließt größer - eben weil es in seinem Leben nicht klar kommt.

Eine Mutter: Mein Sohn ist acht Jahre alt. Vor drei Jahren wurde bei ihm ADHS diagnostiziert. Seit zwei Wochen bekommt er ein Medikament mit dem Wirkstoff ATX, davor hatte er verschiedene Kombinationen mit MPH versucht. Die Situation zu Hause wird besser, aber nicht wirklich gut. Wäre ein stationärer Aufenthalt sinnvoll? Wichtig ist, wenn Sie sich für eine Therapie mit Medikamenten entschieden haben, dass Sie über die richtige Dosierung mit Ihrem Arzt sprechen. Bei Ihrem Sohn scheint eine Unterdosierung vorzuliegen, weshalb die Erfolge nur mäßig sichtbar werden. Auch ist es entscheidend zu wissen, dass sich die Wirkung bei dem Medikament mit ATX erst nach vier bis sechs Wochen voll entfaltet. Sie müssen sich also, im Gegensatz zu einem Medikament mit MPH, gedulden.

Meine Tochter hat ADS, also ADHS ohne Hyperaktivität, und bekommt auch seit einem halben Jahr Medikamente. Sie zeigt jedoch deutliche Kontaktschwierigkeiten. Was kann ich da tun?Versuchen Sie herauszufinden, ob die Kontaktprobleme auf ADS zurückzuführen sind oder schlicht dem Charakter Ihrer Tochter entsprechen. Ein Hinweis wäre etwa, ob Ihre Tochter mit ihrer Situation zufrieden ist oder ob es ihr schlecht damit geht. Dazu kommt aber, dass Ihr Kind schon ihr Leben lang von ADS betroffen ist. Ein halbes Jahr Therapie mit Medikamenten kann das soziale Defizit, das sich im Umgang mit anderen entwickelt hat, nicht so schnell ausgleichen. Geben Sie Ihrer Tochter also Zeit.

Mein Sohn (9) ist seit Geburt unruhig. Regeln kommen bei ihm einfach nicht an, er kann sich nie lange konzentrieren, streitet sich mit Mitschülern und Geschwistern. Ergotherapie hat nicht geholfen. Seine Lehrerin hat den Verdacht auf ADHS geäußert. Die beschriebenen Symptome können auf ADHS hinweisen. Wichtig ist, dass die Probleme über einen langen Zeitraum auftauchen und in verschiedenen Situationen. Sie sollten in jedem Fall ein Gespräch bei einem Kinder- und Jugendpsychiater suchen. Verschiedene Tests werden klären, ob es sich um ADHS oder eine andere Verhaltensstörung handelt.

Artikel vom 16.12.2006