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Prof. Helmut Steiner im Kreis seiner Frauen: von li. Dorothee, Sybille, Renate und Babette. Sie alle haben an der Uni Bielefeld studiert.Fotos: Carsten Borgmeier

Abend der Auszeichnungen

Siebter Jahresempfang der Universität mit Festredner Schleicher

Bielefeld (sas). So umfangreich wie beim gestrigen siebten Stelldichein war das Programm bei einem Jahresempfang der Universität selten : Rektor Prof. Dr. Dieter Timmermann berichtete aus der Hochschule, Prof. Dr. h.c. Helmut Steiner, Geschäftsführer der Westfälisch-Lippischen Universitätsgesellschaft, erhielt die Würde eines Ehrenbürgers und der Karl Peter Grotemeyer-Preis für gute Lehre wurde an den Chemiker Prof. Dr. Thomas Koop verliehen.
Last but not least referierte Pisa-Erfinder Andreas Schleicher vor fast 600 Gästen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft über die Herausforderungen an die Bildungssysteme.
Erst zum siebten Mal in 37 Jahren hat die Universität gestern die Ehrenbürgerwürde verliehen. Weit über das erwartbare Maß hinaus, dankte Rektor Timmermann in seiner Laudatio, habe sich Helmut Steiner zum Wohle der Hochschule engagiert. Und er listete auf, an wie vielen Stellen, in wievielen Funktionen und über welch' langen Zeitraum der Geschäftsführer der Universitätsgesellschaft tätig war und ist, durchaus hartnäckig um Mitglieder und Sponsoren warb und wirbt. »Dein leidenschaftlicher Einsatz in der Bürgergesellschaft ist ein Vorbild, das Schule machen sollte«, sagte Timmermann.
In Form eines Interviews wurde dagegen Thomas Koop, der den mit 3000 Euro dotierten Grotemeyer-Preis für gute Lehre erhielt (wir berichteten), gewürdigt: Andreas Liebold, Moderator des Abends, befragte zwei Studentinnen, was an dem 39-jährigen Professor, der in der Physikalischen Chemie lehrt und forscht, so außergewöhnlich sei. Immerhin hatten mehr als 100 Studierende mit ihrer Unterschrift das Votum bestätigt. »Er ist unheimlich hilfsbereit, gewährt Einblicke in seine Arbeitsgruppe und Forschungen«, befanden Britta Isken und Melanie Nack. Zudem sei einer der wenigen Professoren, die in den Praktika für Anfänger selbst die Kolloquien durchführen.
Spaß und Anspruch, verdeutlichten die angehenden Chemikerinnen, schließen sich bei Koop nicht aus. Und so bringt der Professor, der auf Wunsch auch Vorlesungen in englischer Sprache hält, schon einmal Tiefkühlpizza mit in den Hörsaal, um zu verdeutlichen, dass chemische Reaktionen von der Temperatur abhängen. Der Grotemeyer-Preis wurde zum zehnten Mal von der Universitätsgesellschaft verliehen, er ist mit 3000 Euro dotiert.
Wie in jedem Jahr berichtete Rektor Timmermann auch gestern über das universitäre Geschehen des vergangenen Jahres. Zwar ging die Uni in der ersten Runde der Exzellenzinitiative leer aus (man hofft auf die zweite Staffel), dafür wurde erneut ein Sonderforschungsbereich, der von der Linguistik und der Technischen Fakultät getragen wird, eingeworben. Nach wie vor hofft das Rektorat auf ein Max-Planck-Institut, ebenso setzt man auf einen Erweiterungsbau auf dem Gelände des Hof Hallau.
Nicht ersparen mochte sich Timmermann einige Worte zum Streit um die Einführung von Studiengebühren, der in Bielefeld in der Besetzung des Uni-Rektorates gipfelte und die Verschiebung des Jahresempfanges in den Herbst zur Folge hatte. »Mit Euro-Zeichen in den Augen« habe die Uni sie nicht betrieben, betonte der Rektor. »Es ist die finanzielle Zwangslage, die uns zu diesem Schritt bewogen hat.« Denn in den vergangenen 25 Jahren stiegen die Studierendenzahlen der Hochschule um 60 Prozent, während zugleich zehn Prozent des Personals eingespart werden mussten. Um Gerüchten entgegenzutreten bekräftigte Timmermann, dass die eingenommenen Gelder ausschließlich in Lehre und Studium investiert würden.
Festredner des Abends war Andreas Schleicher, studierter Physiker und Mathematiker, vor mehr als zehn Jahren als Bildungsstatistiker zur Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nach Paris gekommen und Erfinder der Pisa-Studie. Sein Thema: die Bildungssysteme in der globalen Wissensgesellschaft, die lebensbegleitendes, vieldimensionales Lernen, eine flexible und vernetzte statt hierarchische Produktion und ständige Innovation verlange. Den Boden dafür muss die Schule bereiten - die in Deutschland nur mittelmäßige Leistungen hervorbringt, wie »Pisa« bewies, bei der Bildungserfolg zudem vom sozialen Hintergrund abhängt. Schleicher plädiert aufgrund der Befunde für anspruchsvollere Standards statt unklarer Anforderungen, für Lehrer als »verantwortliche Wissensarbeiter«, für Freiräume und mehr Handlungsfähigkeit der Schulen und eine Individualisierung des Lernens in offenen und integrierten Bildungswegen.

Artikel vom 28.10.2006