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Kleines Mädchen misshandelt

Sachverständige bescheinigte Gewalt-Eltern »Erziehungsfähigkeit«

Von Uwe Koch
Bielefeld/Herford (WB). Fünfeinhalb Jahre Haft soll ein 34-jähriger Herforder absitzen, der die damals sieben Jahre junge Tochter seiner Lebensgefährtin lebensgefährlich verprügelt hat. Diese Strafe hat Staatsanwältin Rosemarie Zindel-Bösing gestern vor dem Landgericht Bielefeld beantragt.

Die Mutter des heute in einer Pflegefamilie lebenden Mädchens soll zweieinhalb Jahre Haft absitzen. Die Jugendkammer des Landgerichts wird das Urteil in dem erschütternden Fall am Montag verkünden.
Für alle am Prozess beteiligten Juristen taten sich Abgründe der »Verwahrlosung« und der »rohen Gesinnung« in der Herforder Familie auf. Die kleine Susan war am 14. November 2004 aus nichtigen Anlass von dem Sozialhilfeempfänger Martin H. in der Wohnung der Mutter Rita B. (44) mit Faustschlägen und Fußtritten traktiert worden. Nur eine Notoperation rettete das Leben der Kleinen: Die Milz war zerrissen, musste entfernt werden. Weil das Immunsystem des Mädchens damals noch nicht ausgebildet war, wird es sein Leben lang Antibiotika einnehmen müssen.
Susan lebt heute in einer ostwestfälischen Stadt in der Anonymität einer Pflegefamilie und in sehr guter Obhut. Die Pflegemutter berichtete den Richtern, Susan habe noch heute »Angst vor Mama« und den Prügeln von deren Lebensgefährten. Ans Licht kamen so noch weitere Vorwürfe: Die Mutter hatte ihre Tochter eine Treppe hinuntergeschubst, ihren Kopf bis zur Atemnot ins kalte Wasser in der Badewanne gepresst. Martin H. gab sogar zu, das Kind sexuell missbraucht zu haben. Schockiert reagierten die Juristen gestern auch auf die Aussage einer 23-jährigen Schwester Susans: Die Frau hat heute noch panische Furcht vor ihrer Mutter, die habe ihr nämlich mit Holzschuhen auf den Rücken geschlagen.
Insgesamt hatte Rita B. sechs Kinder von drei verschiedenen Vätern: Die drei Töchter und drei Söhne wurden auf Betreiben diverser Jugendämter aus der Familie genommen. Auch Susans Fall war den Behörden im Kreis Herford bekannt: Die Verwahrlosung des Mädchens konnten die Sachbearbeiter trotz Engagements nicht verhindern. »Wir hatten größte Bedenken, konnten aber nichts beweisen«, sagte gestern eine Mitarbeiterin des Jugendamtes der Stadt Herford. Ausgerechnet ein psychologisches Gutachten machte am 24. Oktober 2004, nur drei Wochen vor den brutalen Prügeln, vor dem Amtsgericht Herford die letzte verzweifelte Anstrengung für Susan zunichte: Eine Sachverständige bescheinigte Mutter und Freund die Fähigkeit, ein Kind gut erziehen zu können.

Artikel vom 27.10.2006