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Gerhard Schröder


 
»Ich will
noch etwas
tun und
lernen.«

Leitartikel
Am besten nichts Neues

Wer vermisst
eigentlich
wen?


Von Reinhard Brockmann
Wer es denn immer noch nicht weiß: Gerhard Schröder ist wieder da. Die gestrige Vorstellung seiner Memoiren stand nicht am Anfang, sondern jenseits des Höhepunktes einer neuen Schröder-Hype. Sie bedarf längst frischer Impulse, um den Spannungsbogen zumindest so lange aufrecht zu erhalten, bis seine 160 000 Bücher auf den Ladentischen liegen.
Der Rest ist Sache der Buchhändler. Die müssen von heute an zu 25 Euro das Stück verkaufen, was inhaltlich deckungsgleich seit Tagen weiter vorne am Zeitungsständer aushängt.
Wie das Buch, so die Vorstellung: Inhaltlich nichts Neues, dafür menschlich interessante Blicke hinter die PR-Kulisse bot die gestrige »Pressekonferenz« im Willy-Brandt-Haus dann doch noch. Als zu Beginn Beifall aufkam, spürten die tatsächlichen Journalisten unter den 350 Anwesenden, dass sie womöglich im falschen Film gelandet waren. Zumindest noch in Deutschland verstehen Berichterstatter ihre Rolle wie Hajo Friedrichs: »Mach dich nie mit einer Sache gemein, auch nicht mit einer guten«.
Nach einem Jahr und einer oft schwierigen Übergangszeit nach dem Rückzug ins Privatleben sei er jetzt mit sich »im Reinen«, sagte Schröder - und signalisierte genau das Gegenteil.
Nicht die Höflichkeiten des Grafen vom Luxemburg, sondern das Spiel mit den anschließenden Journalistenfragen ließen Schröder sichtlich aufleben. Die Hauptstadtpresse mühte sich redlich, irgend etwas Neues, Weiterführendes oder zumindest noch nicht Gesagtes dem in Mediensachen ausgebufftesten aller Bundeskanzler abzuringen. Weder Schmeicheleien der Hannoveraner noch Werner Sonnes Total-Provokation - »Haben Sie der Entführung el Masris den Boden bereitet?« - bewegten Schröder zu mehr als Leer-Worten. Ein Lächeln, ein flotter Gag und souveränes Themenhopping, schon war die nächste Frage erlaubt.
Je weiter das Spiel ging, desto klarer wurde allerdings auch: Wer sich zurück ins Rampenlicht stellt, muss weitergehende Antworten bieten. Nicht demnächst als Zeuge vor einem Untersuchungsausschuss, sondern als Themen-Setzer.
Deshalb spricht Schröder im Einzelinterview nebenan von der »Agenda 2020«, gibt seiner sitzengelassene Partei Ratschläge für ferne Wahlkämpfe und leidet ganz offensichtlich schwer unter der selbst verordneten Politabstinenz vergangener Monate.
Johannes Rau brauchte zeitlebens die Marschmusik einer Bergmanns-Kapelle, wenn er ein Festzelt betrat. Für Rainer Barzel war der Stempel des »jüngsten Elder Statesman« eine Bürde. Und auch Gerhard Schröder kann ganz offenbar ohne die Droge Publizität nicht leben. Da hilft ein Rubel-Rekord-Einkommen so wenig wie sein Millionen-Honorar für Manuskript, Vorabdruck-Rechte und 13 Lesungen zuzüglich 14 Signierstunden (24.11. Bielefeld).
Schröder hat seine »Entscheidungen« nicht geschrieben, weil wir sie noch nicht kannten, sondern weil er uns vermisste.

Artikel vom 27.10.2006