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Von der Schulbank
in den Hörsaal

Von Sandra Diekmann
Ohne Abi studieren - das geht eigentlich nicht. In Bielefeld geht es doch. Rebecca Bauer, Christopher Kipp, Nils Wittenbrink und etwa 30 weitere Schüler besuchen in diesem Semester neben der Schule auch Vorlesungen an der Uni. Mit dem Programm »Studieren ab 16« können sie in ihren Lieblingsfächern schon vor dem Abi ein bisschen Uniluft schnuppern.

»Schon 120 Schüler haben seit dem Start des Angebots im Wintersemester 2002/2003 erfolgreich teilgenommen«, berichtet Helen Menges vom SchülerInnen-Büro der Uni. Die Förderung von besonders begabten und an Wissenschaft interessierten Schüler ist das Hauptziel des Programms. Darüber hinaus bekommen die Teilnehmer eine Orientierungshilfe für die spätere Studienwahl und lernen ganz nebenbei schon einmal das Hochschulleben und die Strukturen an der Uni kennen.
In Chemie, Mathe, Physik, Geschichte, Philosophie, Jura und Soziologie können leistungsstarke Schüler ab Klasse 10 an Einführungsvorlesungen teilnehmen und dabei sogar Scheine für ein späteres Studium erwerben. Eine Sonderbehandlung für die Schüler gibt es dabei nicht - sie müssen genau die gleichen Anforderungen erfüllen, wie alle anderen Studenten auch.
Wer beim Programm mitmachen möchte, benötigt eine Einverständniserklärung der Schule und eine Empfehlung vom jeweiligen Fachlehrer. Da die Veranstaltungen manchmal auch vormittags sind, fällt bei den meisten Teilnehmern die eine oder andere Schulstunde aus. »Der versäumte Stoff muss eigenständig zu Hause nachgeholt werden«, sagt Helen Menges. »Außerdem überprüfen wir regelmäßig, dass die schulischen Leistungen der Schüler nicht schlechter werden.« Die meisten bleiben ein oder zwei Semester dabei, einige wenige sogar bis zu sechs Semester. Helen Menges: »Diese Schüler haben dann mit dem Abi auch schon fast den Bachelor in der Tasche.«
Christopher Kipp besucht schon im 2. Semester Vorlesungen in Chemie. »Uni ist auf jeden Fall interessanter als Schule, weil ich Chemie am liebsten mache«, meint der Zwölftklässler vom Bielefelder Ceciliengymnasium. In den Vorlesungen »Biochemie« und »Organische Chemie« kann er in diesem Semester einen tieferen Einblick in sein Lieblingsfach gewinnen. Für ihn ist es kein Problem, Schule und Uni unter einen Hut zu bekommen, denn sein Jahrgangstufenleiter unterstützt ihn sehr und erlaubt die eine oder andere Fehlstunde. Für den 17-Jährigen war es auch von Anfang an kein Problem, sich in der Uni zurechtzufinden und Kontakte zu Kommilitonen zu knüpfen. »Auch nach dem Abi kann ich mir vorstellen, Chemie weiter zu studieren.«
Für Rebecca Bauer ist das Unileben noch ganz neu. Die 16-Jährige, die die zwölfte Klasse des Ratsgymnasiums in Bielefeld besucht, hat sich für Geschichte entschieden. In diesem Semester nimmt sie an der Vorlesung »Europa im 18. Jahrhundert« teil. Zwei Mitschüler, die schon im letzten Jahr bei »Studieren ab 16« dabei waren, haben sie auf die Idee gebracht. »Bis jetzt hat es mir gut gefallen«, sagt Rebecca, »wenn man sich erstmal eingefunden hat, ist in der Uni auch alles relativ leicht zu finden.« Dass sie jünger ist als ihre Kommilitonen, hat noch niemand gemerkt. »Bisher wurde ich nicht darauf angesprochen und wie jede andere Studentin behandelt.«
Nils Wittenbrink kommt schon seit einem Jahr zweimal pro Woche aus Gütersloh nach Bielefeld. Der 18-Jährige besucht in diesem Semester ein Chemiepraktikum und die Vorlesung »Physikalische Chemie«. In den letzten beiden Semestern hat er schon fleißig Klausuren geschrieben und alle bestanden. Mit dem Wissen aus der Uni sind die Chemie-Klausuren in der Schule ein Kinderspiel. »Mein Chemie-LK ist jetzt natürlich leicht«, sagt Nils, »in den anderen Fächern muss ich mich dafür etwas mehr anstrengen, damit ich den Anschluss nicht verliere.« Auf jeden Fall haben ihm die Kurse an der Uni Lust auf mehr gemacht. Auch nach dem Abi wird er wohl der Chemie treu bleiben.

Artikel vom 07.11.2006