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Katheter durchtrennt: Frau tot

Rentnerin verblutet - Polizei nimmt Sohn unter Mordverdacht fest

Von Christian Althoff
Petershagen (WB). Eine pflegebedürftige Frau (78) aus Petershagen (Kreis Minden-Lübbecke) ist in ihrem Bett langsam verblutet. Ihr jüngster Sohn (35) steht im Verdacht, den zentralen Venenkatheter der kranken Rentnerin durchgeschnitten und damit geöffnet zu haben. Der Mann sitzt seit Dienstag wegen Mordes in Bielefeld in U-Haft.

Witwe Emma J. (78) lebte zurückgezogen mit ihren beiden Söhnen Heinz (39) und Willi (35) in ihrem Haus in Petershagen-Jössen, einem 400-Einwohner-Dorf an der Weser. Kurze Spaziergänge in der Straße, ein Plausch am Gartenzaun -ĂŠviel mehr war der entkräfteten Rentnerin nicht mehr möglich. Dreimal in der Woche brachte ein Taxi die schwer nierenkranke Frau zur Blutwäsche in eine Mindener Dialysepraxis. Dort wurde das Dialysegerät an einem zentralen Venenkatheter angeschlossen, der aus der Brust der Rentnerin kam. Nach der Blutwäsche wurde der Katheterschlauch verschlossen und mit einem Verband auf der Brust fixiert.
Am vergangenen Freitag hatte Willi J. morgens den Hausarzt alarmiert: »Meine Mutter liegt tot im Bett!« Der Arzt fand die 78-Jährige in einem blutdurchtränkten Nachthemd vor. Er öffnete den Brustverband und sah, dass die Katheterverschlüsse abgeschnitten worden waren. »Daraufhin hat der Hausarzt die Polizei gerufen«, berichtete gestern Staatsanwalt Klaus Metzler. Beamte der Mindener Kripo entdeckten in einem Mülleimer die abgetrennten Katheterverschlüsse sowie einen alten Verband.
Da der ältere Sohn, ein Beamter, zur vermuteten Tatzeit in Berlin war, kam für die Ermittler nur Willi J. als Täter in Frage. Der 35-Jährige ist seit einer abgebrochenen Krankenpflegerausbildung Frührentner. »Niemand hier weiß, warum«, sagte gestern ein Nachbar. »Aber der Willi muss immer Tabletten schlucken, und wenn er das vergisst, wird er ganz eigenartig. . .« Aus dem Verwandtenkreis hieß es, Willi J. leide an einer psychischen Störung.
Staatsanwalt Klaus Metzler geht davon aus, dass der Sohn den Katheter absichtlich durchtrennt und das offene Ende unter einem neuen Verband verborgen hat. »Das war heimtückisch«, sagte Metzler, der einen Haftbefehl wegen Mordes erwirkte. Der Tatverdächtige verweigert jede Aussage, deshalb kennen die Ermittler das Motiv auch noch nicht. Die Obduktion des Opfers ergab, dass Emma J. langsam verblutet war.
Rechtsanwalt Karl-Friedrich Stock aus Petershagen, der den Mordverdächtigen vertritt: »Ob es tatsächlich so war, wie der Staatsanwalt meint - ich habe da meine Zweifel. Denn fest steht, dass mein Mandant seine Erfüllung darin gesehen hat, sich um seine kranke Mutter zu kümmern. Er hatte sonst nichts, das ihm Halt und Selbstvertrauen gegeben hätte.« Es gebe auch keinerlei Hinweise darauf, dass sich Willi J. mit der Pflege überfordert gefühlt haben könnte oder dass seine Mutter freiwillig aus dem Leben scheiden wollte, sagte der Anwalt. »Die Frau war alt und krank, aber sie war nicht bettlägerig, und sie war geistig voll auf der Höhe.«
Emma J. wird heute beerdigt. Ihr Sohn Willi soll in den kommenden Wochen von Gutachtern untersucht werden.

Artikel vom 26.10.2006