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Predigt bald
um Gotteslohn

Kirchenkreis: Die Kassen leeren sich

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Die Kirchensteuer bricht weg, die Menschen verlassen Gottes Haus, die Gesellschaft überaltert - trübe Aussichten für die Institution Kirche. Auch im Kirchenkreis Bielefeld ringen die evangelischen Gläubigen um die Gestaltung der Zukunft.

Es ist möglich, dass im Jahr 2030 die 14 denkmalgeschützten Gotteshäuser des Kirchenkreises (insgesamt sind es mehr als 30) verfallen, weil sie aus Mitteln der Kirchensteuer nicht mehr zu erhalten sind. Es ist möglich, dass im Jahr 2030 die evangelische Kirche keine Kindertagesstätte mehr betreibt. Es ist möglich, dass im Jahr 2030 nicht einmal mehr die kirchlichen Bediensteten, seien sie noch berufstätig oder schon im Ruhestand, entlohnt werden.
Mit brennender Sorge blicken Finanzexperten des Kirchenkreises Bielefeld in die geschwind sich leerenden Kassen. Der entscheidende Faktor ist die Zahl der erwerbstätigen Protestanten, die Kirchensteuer zahlen, aber nur rund ein Drittel der derzeit 113 322 Gemeindemitglieder stellen. Sinkt ihre Zahl wegen Arbeitslosigkeit und Abwanderung, so sinken die Einnahmen - und im Kirchenkreis Bielefeld sind die Zahlen alarmierend.
Unabhängig von der gesamtdeutschen Wirtschaftskrise rächt sich jetzt das Versäumnis der Bielefelder Politik, rechtzeitig genügend Bauland für junge Familien auszuweisen - potentielle (Kirchen-)Steuerzahler wanderten ab. Die derzeit entstehenden Neubausiedlungen nehmen oft nur innerhalb der Stadt umziehende Menschen auf - oder nichtchristliche Migranten.
Zwei weitere Probleme: Die Geburtenrate sinkt, was - bis 2030 -Ê laut Prognose ein Drittel weniger Mitglieder bedeutet. Und in zehn bis 15 Jahren scheiden die Angehörigen der geburtenstarken Jahrgänge aus dem Erwerbsleben aus. Befürchtung: Mindereinnahmen aus der Kirchensteuer von 50 Prozent (2005: 12 Millionen Euro).
Weil die evangelische Kirche nicht (wie die öffentliche Hand) Kredite aufnehmen darf, muss sie auf Rücklagen zurückgreifen. In Zeiten, als Geld kein Thema war, wurde bewusst ein Überhang an Theologen geschaffen, deren Versorgung aus diesen Rücklagen gesichert zu sein schien. Ab 1989/90 jedoch wurde das Geld zum Aufbau der Ostkirchen »zweckentfremdet«, und mathematische Berechnungen haben ergeben, dass, wenn die Versorgungskasse nicht aufgefüllt wird, der Pfarrer spätestens im Jahr 2030 um Gotteslohn predigen müsste.
Die evangelische Kirche hat auch ein strukturelles Problem: Die Kirchengemeinden (30 im Kirchenkreis Bielefeld) sind weitgehend autonom und müssen Empfehlungen der Synode nicht umsetzen. Die Bemühungen beispielsweise, mehrere Gemeinden zu »Nachbarschaften« zusammenzulegen, treffen allzu selten auf Gegenliebe.

Artikel vom 26.10.2006