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So viele - und
doch schutzlos

Neue Schau bei den Stadtwerken

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Wenn Ralf Binnewies an der Staffelei steht, kann er durchaus wütend werden. »Ich muss ja aber nicht gleich explodieren«, sagt der Künstler - und geht auf Distanz zu seinem Motiv. »Individuum und Masse« heißt die Schau seiner aktuellen Werkgruppe, die jetzt im Neuen Foyer der Stadtwerke eröffnet wurde.

»Als die Fußball-WM lief, bin ich, wie so viele andere auch, in die Stadt gezogen, und dann haben wir richtig Halligalli gemacht«, erinnert sich der in Bielefeld aufgewachsene 49-Jährige, der seit wenigen Monaten in Göttingen lebt. Er war also mittendrin, als die Nationalelf bejubelt wurde - »und beim Malen bereits habe ich mich sehr erschrocken, wie nah ich dem Geschehen mit dem Pinsel gerückt bin.«
Denn üblicherweise, wenn Ralf Binnewies Menschenmengen in Öl - »in der Königsdisziplin der Malerei« - inszeniert, wählt er einen Blick aus so weiter Ferne, dass sich die vielen Individuen, die den Nervenkitzel des Stierkampfs suchen, auf dem Petersplatz um den toten Papst trauern oder zum Opernball übers Parkett schweben, im pointillistisch oszillierenden Gewimmel der Farbpunkte auflösen. Im Falle von »Public Viewing III« jedoch, jener »erschreckenden« Momentaufnahme aus der Nähe, lässt der Künstler dem Fan sein Gesicht.
Was viele Menschen (gemeinsam) tun, ist nie verkehrt. Aua. Ralf Binnewies gleitet über Frauen im Tschador, jubelnde, augenscheinlich sehr glückliche Frauen. Sie schwenken Fähnchen mit Maschinengewehren und freuen sich über die »Mords«-Erfolge der Hisbollah. Das abgründig Böse hat in der Masse eben doch seinen Platz.
Und weil Philipp Donald Göbel, der auch die großen Ausstellungen in der Kunsthalle hängt, offensichtlich ein Mann mit sardonischem Humor ist, hat er eine Pinguin-Kolonie neben den Hisbollah-Fanatikerinnen plaziert. »Eine mutige Entscheidung«, findet Binnewies. »Aber diese sozial lebenden Vögel legen doch viele ÝmenschlichenÜ Verhaltensweisen an den Tag . . .«
»Die Gewissheit von der Geborgenheit des Einzelnen in der Masse ist trügerisch«, erklärte die Kunsthistorikerin Tanja Kemmer vor Binnewies' Bildern. Oft bleibe das Individuum eben doch alleine.
Ironie ist Binnewies nicht fremd, und so lässt er im Mozartjahr die gleichnamigen Kugeln über die Leinwand rollen (»kitschig und widerlich süß«) und neigt sich, wie rundherum die Monitore auch, milde lächelnd über die schwitzende Masse der Börsenhändler. Und bemitleidet (auf dem einzigen Schwarz-weiß-Gemälde) den Politiker im Zentrum des Kreises der ihn aufspießenden Lanzen, die natürlich nur Mikrofone an Stangen sind: »Pressekonferenz«.
Die Ausstellung, die bis zum 20. Dezember werktags von 7.30 bis 18 Uhr geöffnet bleibt, ist die 17. bei den Stadtwerken seit 2001 und die dritte in diesem Jahr. »Unser Haus hat sich als Raum für die Kunst in der Stadt etabliert«, stellte Stadtwerke-Geschäftsführer Wolfgang Brinkmann fest.

Artikel vom 28.10.2006