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Vom Glück der
Freundschaft
und wilder Zeit

Der Roman im WESTFALEN-BLATT

Bielefeld (WB/bo). Auch der längste Roman geht einmal zu Ende. Somit wird sich P.D. James' Werk »Wo Licht und Schatten ist« am kommenden Montag mit der 90. Folge verabschieden. Für Ersatz ist gesorgt. Mit der Dienstagausgabe startet der neue Fortsetzungsroman im WESTFALEN-BLATT: »Anna und Elise«. Die Autorin ist Gerlinde Siebert.
Das Elternhaus auf dem Titel des Buches.

Spannend und unterhaltsam war's, doch nun geht es vom ziemlich fernen Combe Island sozusagen zurück in die Heimat. Besser noch: mitten in die Region. Gerlinde Siebert ist gewissermaßen eine Nachbarin, sie wohnt »unter uns« - in Verl. »Anna und Elise« ist ihr erster Roman, und der ist ihr durchaus gut gelungen.
Indes, es handelt sich hierbei nicht um leichte Kost, denn die Leser werden mit der Vergangenheit konfrontiert. Dies allerdings auf eine fast sanfte, wenn auch prägnante Weise. Was nicht heißt, dass dieses Buch nicht nachdenklich macht. Im Gegenteil. Der Roman beschreibt das Leben zweier Frauen in den Jahren 1945 bis 1955, also jene Zeit, die nach dem Zweiten Weltkrieg voll war mit Wirren und dem Überleben, dem Aufbau und dem Leben in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland.
Es ist eine Geschichte von Trauer um geliebte Menschen, von Vertreibung aus der angestammten Heimat, von materiellen und ideellen Verlusten, aber auch von einer grandiosen Freundschaft und von Glück. Anna und Elise, das sind die Freundinnen. Elise verliert im Jahr 1946 zwei ihrer Kinder, ohne bei ihnen sein zu können und zerbricht fast daran. Erst, als sie auch noch um das Leben ihres dritten Kindes fürchten muss, erwacht ihr Kampfgeist und ihr Lebenswille, um dieses Kind zu behalten.
Der Roman beginnt mit Elise und führt in einen kalten Novembermorgen in Nordhessen des Jahres 1946. Langsam nähert sich Gerlinde Siebert, die jetzt Heinecke heißt, ihren Erstling aber unter ihrem Mädchennamen veröffentlicht hat, dieser Figur, beschreibt genau die Umstände, die anderen Menschen und die Örtlichekeiten. Sie tut es mit einer klaren, verständlichen Sprache, die keine überflüssigen Schnörkel kennt, aber präzise und so ausführlich wie nötig beschreibt. Mithin, die 61-jährige Autorin weiß, wovon sie schreibt. Es ist die Erinnerung an die eigene Kindheit. Die Aussage geht indes weit über das Ich hinaus.
Anna, die zweite Titelfigur, wird mit ihrem kleinen Sohn 1945 aus Schlesien vertrieben. Unterwegs muss sie Schreckliches erleiden und wird unter dramatischen Umständen von ihrem Sohn getrennt. Die Frauen treffen aufeinander, und das gemeinsame Leid lässt Anna und Elise zu Freundinnen werden. Annas Sohn findet in Polen eine neue Familie, bevor er eines Tages wieder mit seiner Mutter vereint ist. Das soll zum Inhalt reichen, schließlich wollen wir zum Lesen anregen und nicht alles vorwegnehmen.
Eigentlich hatte die 61-jährige Friseurmeisterin Gerlinde Heinecke nur ein Büchlein zum 60. Geburtstag ihres Bruder schreiben. »Über unsere Kindheit«, wie sie sagt. Denn sie fand es schade, wenn »alles verloren gehen« würde. Auslöser war ursprünglich der Tod der Eltern, Gerlinde Heinecke wollte sich alles von der Seele schreiben, auch den Verlust des Fachwerkgehöfts der Familie in Bad Zwesten, das als Bild auf dem Titel ihres Buches prangt. Und dann kamen die Gedanken geradezu in Sturzwellen. In der Phantasie sponn sie die Schicksalsfäden weiter und setzte schließlich alles zusammen. Der Schicksalsroman nahm Gestalt an.
Gerlinde Siebert: Anna und Elise, Blue Line Verlag, 203 S., Euro 12,90 Euro, ISBN: 3-9810659-0-5.

Artikel vom 28.10.2006