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Bundeswehr im Kreuzfeuer

Soldaten in Afghanistan präsentieren sich mit einem Totenschädel

Berlin (dpa). Nach Foto-Veröffentlichungen einer mutmaßlichen Totenschändung durch deutsche Soldaten in Afghanistan ist die Bundeswehr von einem der größten Skandale der jüngsten Vergangenheit erschüttert.

In Berlin wurde die Sorge laut, dass die abgelichteten Posen der Soldaten mit einem nicht identifizierten Totenschädel die Gefährdung der knapp 3000 Soldaten in Afghanistan erhöhen könnte. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsminister Franz Josef Jung (beide CDU) äußerten sich gestern entsetzt und kündigten ein hartes Durchgreifen an.
Die Staatsanwaltschaft Potsdam begann mit Ermittlungen wegen des Verdachts der Störung der Totenruhe, die mit Haft bis drei Jahren geahndet werden kann. Ein aktiver und ein inzwischen ausgeschiedener Soldat stehen nach bundeswehrinternen Untersuchungen in Verdacht. Es soll sich um Gebirgsjäger aus dem Standort Mittenwald (Bayern) handeln.
Das Bundeskabinett verlängerte den Einsatz der Spezialeinsatztruppe KSK am Hindukusch. Die Ministerrunde verabschiedete auch die Grundlinien für künftige deutsche Verteidigungspolitik, die von weiteren Auslandseinsätzen ausgeht.
Auslöser für den Skandal ist die Veröffentlichung von fünf Fotos in der »Bild«-Zeitung, die deutsche Soldaten der Afghanistan-Schutztruppe ISAF auf einer Patrouillenfahrt im Jahr 2003 zeigen sollen. Sie präsentieren dabei mit zum Teil obszönen Gesten einen Totenschädel. Bei einem Verdächtigen soll es sich um einen Stabs- oder Hauptgefreiten der Reserve, bei dem anderen um einen Stabsunteroffizier handeln.
Merkel bezeichnete die Fotos als »schockierend, abscheulich und durch nichts zu entschuldigen«. Gleichzeitig betonte sie, dass Bundeswehr und NATO in Afghanistan einen langem Atem brauchten, um das Land zu befrieden.
Der Kabinettsbeschluss betrifft die deutsche Beteiligung am Anti- Terror-Kampf »Enduring Freedom«. Neben den geschätzten 100 Soldaten der KSK sind derzeit sind 330 deutsche Marinesoldaten am Horn von Afrika im Einsatz, um Handel und Transport von Waffen und Drogen auf See zu verhindern.
Der in Bremen lebende Türke Murat Kurnaz wirft Bundeswehrsoldaten unterdessen vor, ihn im Januar 2002 in einem US-Gefangenenlager im südafghanischen Kandahar misshandelt zu haben. Er war im August nach vierjähriger Haft aus dem US-Gefängnis Guantánamo auf Kuba freigelassen worden. Sein Fall soll nun vom Verteidigungsausschuss überprüft werden, der gestern beschloss, in den kommenden Monaten als Untersuchungsgremium weiterzuarbeiten.
Ungeachtet der Vorbehalte beim Koalitionspartner SPD und der scharfen Kritik aus den Reihen der Opposition sollen die deutschen Streitkräfte zur Abwehr terroristischer Angriffe verstärkt im Inland eingesetzt werden können. Allerdings wolle niemand, dass sie originäre Polizeiaufgaben übernehmen, sagte Jung.
Mit einem neuen »Weißbuch« zur Verteidigungspolitik reagiert die Regierung auf die veränderte Sicherheitslage in der Welt. Jung nannte die Wehrpflicht einen wesentlichen Punkt auch für die künftige Ausrichtung der Bundeswehr.
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Artikel vom 26.10.2006