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»Er war ein Genie, aber ein herzloses«

Der Maler hinterließ 1900 Bilder, 7000 Zeichnungen, 1200 Skulpturen und 30 000 Grafiken

Madrid (dpa). Jean Cocteau fühlte sich »elektrisiert«, Coco Chanel geriet bei seinen Blicken »ins Zittern«. Enkelin Marina beschreibt ihn dagegen als selbstsüchtiges Monster, das Familie und Frauen stets demütigte: »Er war ein Genie, aber ein herzloses.« Die Rede ist von Pablo Picasso (1881-1973), der heute vor 125 Jahren im spanischen Málaga zur Welt kam.
In einem sind sich jene, die ihn geliebt und jene, die ihn gehasst haben, aber einig: Er war einer der größten Maler des 20. Jahrhunderts. Dabei hätte die Kunstwelt das Genie Picassos um ein Haar nie erlebt. Bei seiner Geburt gab die Hebamme ihn auf, weil sie ihn für tot hielt. Er atmete einfach nicht.
Aber sein Onkel Salvador, der Arzt war, blies dem kleinen Pablo den Rauch einer Zigarre ins Gesicht und brachte ihn zum Weinen. »Nur so gelang es Picasso, auf der Welt zu bleiben«, heißt es in der Biografie über den Mitbegründer des Kubismus.
»Wenn ich mir keine Ölfarbe mehr leisten kann, kaufe ich Wasserfarben. Wenn für Wasserfarben kein Geld mehr da ist, besorge ich Bleistifte. Und wenn die Bleistifte ausgehen oder man mich ins Gefängnis steckt, spucke ich mir auf den Finger und bemale die Wand«, sagte Picasso einst. Er arbeitete nämlich wie ein Besessener. Von seiner enormen Produktivität - und Kreativität - zeugt das künstlerische Erbe, das der 91-Jährige nach seinem Tod 1973 im französischen Mougins hinterließ: Fast 1900 Gemälde, 3200 Keramiken, 7000 Zeichnungen, 1200 Skulpturen und 30 000 Grafiken.
Schon als Kind war Picasso von der Malerei fasziniert. Sein Talent war so groß, dass sein Vater, ein Zeichenlehrer, ihm schon bald nichts mehr beibringen konnte. Kurz nachdem die Familie 1891 nach Galicien gezogen war, gab der Vater Pinsel und Farbkasten schließlich an seinen Sohn ab. Von da an, so heißt es, habe er nie wieder gemalt. Picasso hingegen begann, seine berühmten Tauben zu zeichnen - als Symbol für Frieden. Seine nächste Etappe war Madrid, wo er bereits mit 16 Jahren in die ehrwürdige Akademie der Schönen Künste aufgenommen wurde, dann folgten Barcelona und 1904 Paris.
Drei Jahre später schuf er eines seiner berühmtesten Bilder, »Les demoiselles d'Avignon«. Mit der gleichnamigen französischen Stadt hat das Gemälde nichts zu tun: Es entstand vielmehr aus den Erinnerungen an ein Bordell in Barcelona und gilt als Picassos erstes kubistisches Werk. Wie auch in seiner »blauen« und »rosa« Periode und seiner surrealistischen Phase setzte Picasso stets neue Maßstäbe. »Wir wissen nun, dass die Kunst nicht die Wahrheit ist. Die Kunst ist eine Lüge, die uns erlaubt, uns der Wahrheit zu nähern, zumindest der Wahrheit, die uns verständlich ist. Der Künstler muss entdecken, wie er das Publikum von der ganzen Wahrhaftigkeit seiner Lügen überzeugt«, meinte er.
Frauen spielten im Leben und Wirken Picassos eine wichtige Rolle. Zwei Mal war er verheiratet: mit der russischen Tänzerin Olga Koklova (1918-1935) und mit Jacqueline Roque (1961 bis zu seinem Tod). Für Porträts und erotische Motive ließ er sich aber ebenso von seinen Beziehungen zu Marie-Thérèse Walter, der Fotografin Dora Maar oder zur Malerin Françoise Gilot inspirieren. Aus den Verbindungen gingen vier Kinder hervor. Walter erhängte sich 1977, Roque erschoss sich 1986. Auch Picassos Enkel Pablo hatte wenige Tage nach dem Tod des Malers Selbstmord begangen.
Als Höhepunkt von Picassos Ausdruckskraft gilt sein Meisterwerk »Guernica«, das er für die Weltausstellung 1937 in Paris schuf. Das großformatige Gemälde - 3,49 mal 7,76 Meter - entstand unter dem Eindruck der Zerstörung der gleichnamigen baskischen Stadt 1937 durch die deutsche Legion »Condor« während des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939). Das Werk gilt als mahnendes Symbol gegen Krieg und Gewalt. Es ist zudem eines der wenigen politischen Zeugnisse des republiktreuen Künstlers, der sich weniger mit seiner Kunst als durch aktives Handeln engagierte: So trat er 1944 der Kommunistischen Partei Frankreichs bei, die ihm später allerdings ein kritisches Bild von Stalin übel nahm.
Er habe die Kunstwelt völlig auf den Kopf gestellt, meint der spanische Schriftsteller Manuel Vicent. »Er erfand neue Formen, die Wirklichkeit zu sehen und stieg dafür in Abgründe herab, die in die Hölle führten. Dort wurde Picasso König.«

Artikel vom 25.10.2006