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Attacken auf Reform halten an

Bundesregierung will für umstrittene Gesundheitspläne offensiv werben

Berlin (dpa). Unmittelbar nach dem Kabinettsbeschluss haben 13 zentrale Verbände des Gesundheitswesens, Wirtschafts- und Sozialverbände sowie die Opposition ihre Attacken gegen die Gesundheitsreform erneuert. Private Rettungsdienste protestierten in Berlin mit langen Krankenwagen-Kolonnen gegen die Reform.

In einer gemeinsamen Resolution warnten die wichtigsten Organisationen der Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser, Apotheker sowie der gesetzlichen und privaten Krankenkassen vor Verstaatlichung und Vereinheitlichung: »Diese Reform würde das Gesundheitswesen in die Sackgasse einer Zentralverwaltungswirtschaft führen.« Die Versorgung der Menschen im Land werde schlechter und teurer.
Die Verbände forderten einen »Neuanfang«. Die bislang unabhängig vom Bundeshaushalt aufgestellte Finanzierung werde wegen des von der Regierung künftig festgesetzten Beitrags »dauerhaft Gegenstand der politischen Diskussion«. Die Beziehungen zwischen Patienten, Ärzten, Apothekern und Kassen würden »staatsdirigistisch vorgeschrieben«. Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) warnte vor »willkürlichen Beschneidungen der Versorgungsqualität«.
Grünen-Chef Reinhard Bütikofer kritisierte dagegen: »Statt Wettbewerb zu Gunsten der Versicherten gibt es Lobbyschutz zu Gunsten von durchsetzungsstarken Lobbys.« Einsparpotenziale bei Apothekern, der Pharmaindustrie und niedergelassenen Fachärzten blieben ungenutzt. FDP-Chef Guido Westerwelle will den geplanten Gesundheitsfonds auf jeden Fall zu einem zentralen FDP-Thema im nächsten Bundestagswahlkampf machen. Der Vize-Vorsitzende der Linksfraktion, Klaus Ernst, kritisierte, die Reform löse keine Finanzprobleme und dränge keine Lobbyinteressen zurück.
Otto Kentzler, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, bemängelte, die Lohnzusatzkosten würden nicht nennenswert unter 40 Prozent gesenkt. »Die dringend notwendige Abkopplung der Beiträge vom Lohn wird nicht erreicht.« Sozialverband Deutschland und Volkssolidarität kritisierten die Pläne hingegen als unsozial vor allem für Geringverdiener.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will für die umstrittene Gesundheitsreform offensiv werben. Dies sagte der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg gestern in Berlin. Die Kanzlerin habe im Kabinett deutlich gemacht, dass sie während der nun anstehenden parlamentarischen Beratungen der Reform weiterhin mit einer auch öffentlich geführten kontroversen Debatte rechne.
Die Bundesregierung wolle sich dieser Debatte nicht nur stellen, sie werde auch »offensiv mit den Interessengruppen das Gespräch suchen (...) und für dieses Gesetz werben«, sagte Steg. Er wies darauf hin, dass es sich bei dem Vorhaben um die erste Reform im Gesundheitswesen seit vielen Jahrzehnten handele, »die ohne generelle Zuzahlungserhöhungen und ohne Leistungskürzungen auskommt«. Es handele sich damit um eine Reform, »die ausdrücklich die Patienten verschont«.
»Es ist ein gutes Gesetz und ein großer Fortschritt für das deutsche Gesundheitswesen«, sagte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Mit dem Beschluss habe die Reform das »erste Etappenziel erreicht«. Sie ziele darauf, dass die Bürger auch künftig eine »gute und moderne medizinische Versorgung bekommen«.
Es sei eine Reform für 82 Millionen Bundesbürger, sagte sie mit Blick auf die anhaltende Kritik der zahlreichen Verbände mit ihren Einzelinteressen. Schmidt wies Vorwürfe zurück, die Koalition habe sich bei dem Vorhaben nur »auf den kleinsten gemeinsamen Nenner« geeinigt.
Der Entwurf werde nun dem Bundesrat zugeleitet und morgen in erster Lesung im Bundestag debattiert, sagte Schmidt.

Artikel vom 26.10.2006