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Wenn die Nokias und Ericssons ziehen, müssen die Baldas folgen.

Leitartikel
Balda in der Krise

Vom Phönix
zur Asche -
zum Phönix?


Von Bernhard Hertlein
Wenn die Eltern den Wohnort wechseln, ziehen die Kinder mit. Nicht viel anders ist die Beziehung zwischen Mobiltelefon-Herstellern und ihren Zulieferern. Wenn die Nokias und Ericssons dieser Welt zu der Erkenntnis gelangen, dass sie mit ihren Produktionen in Europa nicht mehr genug Geld verdienen, bleibt den Herstellern von Handy-Schalen, Displays, Kameralinsen und ähnlichen Zubehörteilen gar nichts anderes übrig, als ebenfalls die Koffer zu packen und nach Asien umzuziehen.
Und was tun die Mitarbeiter? Wenn sich die Karawane in Bewegung setzt, bleiben sie -Êanders als die Kinder -Ê ohne Jobs zurück. Das war so in der Textilindustrie. Das war so, wie der frühere Kamerahersteller Balda aus eigener historischer Anschauung weiß, in der Optikbranche. Das könnte, wie alle befürchten, bald in stärkerem Maße sogar in der Automobilindustrie so sein.
War es voraussehbar? Ja. Sowohl der jetzige Vorstandsvorsitzende der Balda AG, Johannes Gut, als auch sein Vorgänger Gerhard Holdijk sprachen davon, ein zweites Standbein aufbauen zu müssen. Die Zeit hat dazu nicht gereicht. Nischen, in denen man auch unter den teureren deutschen Standortbedingungen produzieren kann, sind schließlich nicht so leicht zu finden wie Löcher im Schweizer Käse.
Vielleicht hätte man mit mehr Hochdruck suchen und entwickeln müssen. Vielleicht war auch das Kapital zu knickrig, um in den neuen Geschäftsfeldern Medizintechnik und Automotive wirklich Zeichen zu setzen. Lokalmatador Bernd Fennel raus, anonyme Fonds mit teils schillernden Vertretern wie Florian Homm und Lars Windhorst rein: Die Verschiebungen auf der Anlegerseite waren nicht dazu angetan, in Baldas Belegschaft Vertrauen zu bilden.
Vielleicht, vielleicht. . . Die Wirtschaftsgeschichte kennt kein »Wenn« und kein »Vielleicht«. Nicht nur für die Belegschaft, auch für die Region Ostwestfalen-Lippe ist die Entwicklung bei Balda ein schwerer Schlag. Die Firma tauchte wie ein Phönix aus der Asche auf. Jetzt bleibt ein ganzer Berg von Asche zurück. Was darin glüht, ist die Hoffnung, dass das Know-how, das in der Zwischenzeit angesammelt wurde, groß genug ist, den Rest am Leben zu erhalten. Bis zur Geburt eines neuen Phönix wird viel Wasser die Weser hinunter fließen. . .
Wie sich die Bilder gleichen: Kaum war die Entwicklung bei Balda in den Medien, wurden schon Vergleiche mit BenQ angestellt. In Wirklichkeit spielt der Taiwanese als Kunde von Balda nicht die erste Geige. Schon Siemens bestellte seine Handyschalen zuletzt überwiegend bei anderen Zulieferern. Dagegen kommen fast alle Produzenten heute nicht mehr daran vorbei, dass das Riesending Mobiltelefon in Europa und Nordamerika an Anziehungskraft verliert. Große Wachstumsraten erzielt die Branche heute in Schwellenländern - mit Handys, die mit weniger Schnickschnack ausgestattet und billiger sind. Sie aber produziert man besser in China und Brasilien - dort, wo Balda inzwischen ebenfalls schon zu Hause ist.

Artikel vom 26.10.2006