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Kastagnetten
blieben stumm

Entrümpelte »Carmen« in Stuttgart

Stuttgart (dpa). Mit Georges Bizets »Carmen« hat Albrecht Puhlmann als neuer Intendant an der Staatsoper Stuttgart am Sonntagabend eine mit Abstrichen gelobte Einstandspremiere gefeiert.

Das Publikum beschenkte das Ensemble, den glasklaren Staatsopernchor und vor allem das Staatsorchester mit der feurigen Julia Jones am Pult mit Jubel, tosendem Applaus und lauten Bravo-Rufen. Regisseur Sebastian Nübling erntete mit seinem Opern-Debüt hingegen heftige Buh-Rufe. Der Schauspielregisseur verlegte die Handlung um die verführerische Carmen und um Männerfantasien aus der Sonne Spaniens in ein versifftes Hotelzimmer mit einer Stehlampe.
Hier spielt sich das Beziehungsdrama um den eifersüchtigen José und die reizvolle Carmen ab, um die Besessenheit eines Mannes, der eine Frau liebt und hasst und von ihr nicht mehr loskommt. Immer wieder stirbt Nüblings Carmen, bereits zur Ouvertüre liegt sie tot am Boden. Die Regie zeigt eine Rückblende: wie die beiden sich finden, wie Carmen Frauen wie Männer gleichermaßen beherrschen will und wie sie als selbstbestimmte Frau zum nächsten geht, wenn sie den einen satt hat.
Darauf konzentriert sich das Spiel auf dieser im Halbdunkel gehaltenen, aber von Gérard Cleven raffiniert ausgeleuchteten Bühne, die Muriel Gerstner mit feinem Kunstsinn ausgestattet hat. Will Hartmann, neu im Ensemble, ließ als leidenschaftlicher Tenor in der Rolle des zerrütteten und vom Dämon Eifersucht geplagten José ein restlos begeistertes Publikum zurück. Als Carmen in einem silbernen Kleid mit freien Armen lieferte die Sopranistin Karine Babajanian ein stimmlich beachtliches Debüt mit dieser Mezzosopran-Partie ab.
Nübling wollte das Werk von alten - oft bei Freilichtinszenierungen - bemühten spanischen Bildern entrümpeln. Seine »Carmen« kommt daher ohne Kastagnetten-Geklapper und Hüftgewackel aus, wirkte aber mit ihrem Freiheitsdrang in dem engen Hotelzimmer doch manchmal seltsam fehl am Platz. Puhlmann will als Nachfolger von Klaus Zehelein künftig mehr Augenmerk auf die Musikkulturen Frankreichs und Deutschlands legen und begann deshalb mit George Bizets vielfach inszeniertem und weltweit beliebtem Spätwerk.

Artikel vom 24.10.2006