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Abenteuer in Myrtana
Deutsche Rollenspielhoffnung »Gothic 3« stürmt Verkaufshitparade
Es sollte die neue Rollenspielreferenz werden. Leider trüben zahlreiche Fehler das Spielerlebnis. Trotzdem ist Gothic 3 eines der besten PC-Spiele überhaupt, und die Abenteuer des namenlosen Helden sind auch nach 100 Stunden Spielzeit (etwa zur »Halbzeit«) noch atemberaubend spannend. Das Suchtpotential des deutschen Titels ist gewaltig.
Anspruchsvolle Fantasy-Freunde mit Hang zu kernigen Kerlen, handfesten Dialogen und spielerischer Freiheit finden in der Gothic-Serie, was sie suchen. In Gothic 3 tritt der namenlose Held den Weg ins Königreich Myrtana an. Dort rangen Orks die Armeen König Rhobars II nieder und versklavten die Einwohner. Nur in der Wüste und dem eisigen Norden hausen noch wenige freie Menschen, die sich im Kampf um ihr Schicksal dem Feind stellen.
Der Spieler durchforstet Myrtana und genießt seine spielerische Freiheit: Ob er für die Orks kämpft, sich zu den Assasinen bekennt oder lieber mit Nordmannen wandert - jeder entscheidet selbst, wohin ihn seine Gesinnung trägt.
Ein stark erweitertes Charaktersystem lässt Spielern völlige Freiheit, ihren Helden zu formen. Ebenso beeinflussen alle Aktionen in der lebendigen Spielwelt den Geschichtsverlauf - wer sich in allzu finstere Ecken traut, büßt seinen Mut vielleicht mit dem Leben. Passend zu den vielen Optionen und Möglichkeiten bietet der neue Teil drei alternative Enden.
Sechs Fraktionen leben in Gothic 3 nach eigenem Kulturverständnis, Regelwerk und kennzeichnender Gesellschaftsstruktur. Gegenüber dem Vorgänger wuchs »das Spielfeld« um das Vierfache an. Mehr als 20 Städte und Dörfer, mehrere 100 Figuren und 50 Tier- und Pflanzenarten beleben die Spielwelt. Mit gut 50 Zaubersprüchen, 100 Waffen und zahllosen Flüchen zocken sich Vollbluthelden durch komplexe Quests.
Neue Kampftechniken gehen flüssig von der Hand, zum Beispiel Kampf mit zwei Schwertern, Gruppenangriff oder Schildverteidigung. In der Praxis geraten die Nahkämpfe aber leicht zu reinen Klickorgien. Oder ein Held in strahlender Paladin-Rüstung scheitert an einem armseligen Wolf, weil dessen Angriffsstakkato nicht zu unterbrechen ist. Sehr effektiv: Der verbesserte Einsatz des Bogens, komplett mit Zielhilfe und ballistisch fliegenden Pfeilen.
Die generalüberholten Menüs bieten direkten Zugriff auf Ausrüstung, Fertigkeiten, Charakterwerte, Weltkarte sowie Quest-Buch. Vertraut bleibt der ungeschminkte Charme der Gothic-Serie: Morsche Hütten, knarzende Bäume - Wanderer durch Myrtana fühlen sich frei und ungebunden in einer authentischen Welt. Wer die ganze Grafikpracht genießen will, braucht allerdings einen leistungsstarken Rechner: Auf einem Pentium 4 mit 3,2 GHz, zwei MB Ram und einer Geforce 7800 GT-Grafikkarte ruckelt das Spiel selbst in mittleren Einstellungen noch, ist aber gut spielbar. Zu den vielen »Bugs« zählen lange Ladezeiten, Grafikfehler, fehlende Kollisionsabfragen (Spielfiguren verschwinden einfach in Wänden), KI-Aussetzer und das trotz eines, noch zum Veröffentlichungstermin nachgereichten, ersten Patches. Gothic verlangt Nervenstärke vom Spieler. Und Orientierungsvermögen, denn Quests werden nicht in der Karte eingetragen.
Nerven scheinen viele Spieler zu haben: Gothic 3 stürmte die deutschen Charts: Platz eins für die Standard-, Platz zwei für die Spezial-Edition.
Trotz aller Schwächen lässt Gothic die Hochglanzkonkurrenz »Oblivion« blass aussehen - es fühlt sich einfach besser, weil lebendiger an. Also: kaufen und auf den nächsten Patch hoffen.
Thomas Lunk

Artikel vom 04.11.2006