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Gesundheitsreform eingebracht

Massive Kritik der Ärzte - Kabinett verabschiedet heute den Entwurf

Berlin (Reuters). Begleitet von massiver Kritik der Ärzteschaft und aus den eigenen Reihen haben Union und SPD ihre Gesundheitsreform auf den parlamentarischen Weg gebracht. Beide Fraktionen billigten gestern den umstrittenen Gesetzentwurf aus dem Haus von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt.

»An die 90 Prozent« der Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion stimmten nach Angaben ihres Vorsitzenden Volker Kauder zu. Ein SPD-Sprecher sprach von einer »sehr deutlichen Mehrheit« für die Einbringung des Gesetzes in den Bundestag. Von Teilnehmern der Sitzung hieß es jedoch, nur 60 Prozent der anwesenden SPD-Abgeordneten hätten dafür votiert, die restlichen hätten dagegen gestimmt oder sich enthalten.
Heute soll die Reform vom Kabinett verabschiedet werden, am Freitag befasst sich der Bundestag damit. Bis kurz vor den Entscheidungen hatte es weitere Änderungen am Gesetzentwurf gegeben.
Schmidt kündigte an, durch einen erleichterten Kassenwechsel solle künftig kein Geringverdiener die geplante Kassen-Zusatzprämie zahlen müssen. SPD-Fraktionschef Peter Struck rechnet nach eigenen Worten im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens mit weiteren Änderungen. Er gehe am Ende aber von einer deutlichen Mehrheit aus, sagte Struck.
Nach Angaben aus der Unionsfraktion warb Kanzlerin Angela Merkel eindringlich um Zustimmung. »Nach schwierigen Beratungen über die Gesundheitsreform haben wir nun bewiesen, dass diese große Koalition handlungsfähig ist«, sagte Kauder.
Der Deutsche Ärztetag kritisierte das Vorhaben als Pfusch. Die Pläne seien dazu angetan, das Gesundheitswesen »mit Volldampf in die Staatsmedizin zu führen«, sagte Ärztekammer-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe. Die Reform soll am 1. April in Kraft treten.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sieht die Zustimmung seiner Fraktion noch längst nicht gesichert. »Der Druck baut sich jetzt erst auf.« Man stehe am Beginn des parlamentarischen Verfahrens. Er bleibe bei seiner Kritik: »Es gibt keine gute Begründung für den Gesundheitsfonds.« Im Wahljahr 2009 werde dieser Pool von beiden Volksparteien schwer durchsetzbar sein.
Nach Ansicht der SPD-Linken Andrea Nahles zeigt die Stimmung in der Fraktion, dass weitere Änderungen erreicht werden müssten. Neben Lauterbach und Nahles gibt es in der SPD-Fraktion etliche weitere Abgeordnete, die ihre Zustimmung an Änderungen in mehreren Punkten geknüpft hatten.
Auch in der Union melden sich zunehmend Kritiker zu Wort. Das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Ziel, die Finanzierung der Sozialsysteme demografiefest zu machen, sei bislang nicht erfüllt worden, sagte der Vorsitzende der Jungen Gruppe der CDU/CSU-Fraktion, Marco Wanderwitz.
Laut Schmidt gab es eine Reihe von Nachbesserungen. So müssten Kassen ihre Kunden künftig mindestens zwei Monate im Voraus informieren, wenn sie neben dem normalen Beitrag eine zusätzliche Prämie erheben wollten. Das schon jetzt bei Beitragssteigerungen zweimonatige Kündigungsrecht solle sofort ab der Ankündigung gelten. Heute können Versicherte erst die Kassen wechseln, wenn die Beiträge bereits erhöht worden sind, wodurch sie die höheren Kosten zwei bis drei Monate schultern müssen.
Hoppe warf der Regierung Täuschung, Verschleierung und Irreführung vor. Er forderte »eine Reform nach medizinischen Notwendigkeiten und nicht nach staatlichen Begehrlichkeiten«. In einer Resolution forderte der Ärztetag die Koalition auf, »den Reset-Knopf zu drücken« und Mut zum Neuanfang aufzubringen. Eine Versorgung der Patienten auf hohem Niveau sei nicht mehr gewährleistet, wenn medizinischer Fortschritt eingefroren, Qualitätssicherung durch Kontrolle ersetzt werde und Ärzte in Behandlungsschemata hineingepresst würden.

Artikel vom 25.10.2006