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Druck auf die
Kanzlerin
nimmt zu

Gewerkschaften auf der Straße

Berlin (dpa). Elf Monate nach dem Start muss sich die große Koalition von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen wachsende Kritik wehren. Meldungen über mögliche Entlassungen im großen Stil bei Telekom, Bayer und Airbus sorgten für zusätzliche Unruhe.

Bei Demonstrationen der Gewerkschaften forderten 200 000 Menschen ein Umsteuern bei Gesundheit, Renten und Steuern. Beim Deutschlandtag der Jungen Union bekam Merkel den großen Unmut des Parteinachwuchses über die Koalition zu spüren. Ihr Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) warf der Kanzlerin Führungsschwäche vor.
Bei einer Kundgebung in Stuttgart sagte DGB-Chef Michael Sommer: »Ich kann der großen Koalition nur raten, den heutigen Warnruf aus der Mitte der Gesellschaft nicht zu ignorieren.« Niemand könne erwarten, »dass wir tatenlos zusehen, wie die Interessen der kleinen Leute, der sozial Schwachen, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer missachtet werden«.
Beim Deutschlandtag der Jungen Union (JU) in Wiesbaden beklagten sich die Delegierten mehrfach bei Merkel, die Union habe in der Koalition zu wenig von ihren Inhalten durchsetzen können. In einer Diskussion mit der CDU-Chefin beschwerten sich Delegierte, die Gesundheitsreform sei ein »fauler Kompromiss« und trage den Interessen der jüngeren Generation zu wenig Rechnung. Merkel solle der SPD-Seite »zeigen, wo der Hammer hängt«. Die Kanzlerin blieb bei ihrer Position und griff auch die SPD nicht an. JU-Chef Philipp Mißfelder sagte, der Deutschlandtag habe die momentane Verfassung der Partei exakt wiedergegeben.
Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) forderte die Union auf, ihr Profil in der Koalition zu schärfen. Hier gebe es Nachholbedarf. CSU-Generalsekretär Markus Söder sagte, die Handschrift der Union müsse wieder stärker zur Geltung kommen.
Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Peter Ramsauer, sieht die große Koalition unter wachsendem Zeitdruck. Sie habe »noch ein Zeitfenster von weiteren 15 Monaten«, sagte er mit Blick auf die vier Landtagswahlen 2008. »Was bis dahin nicht geschafft ist, wird danach umso schwieriger.«
Umfragen zufolge kommt der CDU ihre bürgerliche Kernklientel abhanden. Die »WirtschaftsWoche« schreibt unter Berufung auf Umfragen, Wirtschaftsvertreter seien unzufrieden mit der Regierung. Zahlreiche CDU-Wähler aus diesen Gruppen orientierten sich deshalb in Richtung FDP.
Die Deutsche Telekom plant laut »Bild«-Zeitung zusätzlich zum beschlossenen Abbau von 32 000 Jobs bis 2008 weitere 23 000 Stellen zu streichen. Bis 2010 würden so 55 000 Arbeitsplätze wegfallen. Die Telekom wies den Bericht als »reine Spekulation« zurück. Beim größten Chemieparkbetreiber Deutschlands, der Bayer Industry Services (BIS), sollen bis zu 3000 Stellen gestrichen oder ausgelagert werden. Aus Frankreich kommen Pläne, bei Airbus 11 000 Jobs, ein großer Teil vermutlich in Hamburg, abzubauen. S. 2: Leitartikel / Wirtschaft

Artikel vom 23.10.2006