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Alexis de Tocqueville

»Die USA haben das Privileg, dass ihre Fehler reparabel sind.«

LeitartikelSzenarium für den Ausstieg

Washingtonsneue
Irak-Politik


Von Jürgen Liminski
Am 2. Mai 1808 erhoben sich spanische Zivilisten gegen die französische Besatzung. Seither kennt die Geschichte den Begriff der Guerilla, des kleinen Krieges. Napoleon befahl damals Massenerschießungen. Nach sechs Jahren Guerilla war seine Armee geschlagen und musste abziehen.
Die Geschichte hat den Sieg von Guerilleros seither oft erlebt, im letzten Jahrhundert stehen dafür Namen wie Israel, Vietnam oder Afghanistan. Das neue Jahrhundert wird vermutlich bald einen weiteren hinzufügen: Irak. In Washington denkt man jedenfalls über eine Änderung des politischen und das heißt auch militärischen Kurses im Zweistromland nach.
Diese Änderung ist unausweichlich. Allein im Oktober wurden bisher an die hundert US-Soldaten getötet. Der Irak wird die Republikaner Anfang November vermutlich die Mehrheit im Repräsentantenhaus, vielleicht auch im Senat kosten.
Wenn sich dann nichts ändert, sitzt im Weißen Haus nicht nur eine »Lahme Ente« (lame duck), die Republikaner gehen auch mit geringen Chancen in den langen Präsidentenwahlkampf.
Es gibt schon ein Szenarium für den Kurswechsel. Kurz nach der Wahl wird man über die Ergebnisse der Expertenkommission unter Leitung des ehemaligen Außenministers James Baker nachdenken. Baker ist kein Mann, der wie seinerzeit Johnson im Fall Vietnam noch mehr reguläre Truppen gegen die Guerilleros in das Krisengebiet schickte. Er wird einen geordneten Abzug empfehlen. Man wird der Öffentlichkeit weismachen wollen, dass die Regierung in Bagdad die Lage im Griff habe, wird Verteidigungsminister Donald Rumsfeld feiern, und der wird seinen Rücktritt anbieten. Diesmal wird Bush ihn annehmen.
Schon lobt die Außenministerin das palästinensische Volk und schweigt über die Mullahs. Das Schicksal Iraks ist ungewiss. Wahrscheinlich ist ein blutiger Bürgerkrieg, den Washington durch Verhandlungen mit Teheran und Damaskus einzudämmen versuchen wird. Für Washington geht es darum, im verlorenen Irak-Krieg nicht zu viele Kräfte zu binden, die man in anderen Krisengebieten braucht.
Was für Washington, Republikaner wie Demokraten, zählt, ist der Krieg gegen den Terror. Der kann apokalyptische Formen annehmen, wenn die Terroristen in den Besitz der Atomwaffe gelangen. Das gilt es zu verhindern. Amerika hat das Privileg, dass seine Fehler reparabel sind, meinte Alexis de Tocqueville. Ob das ewig gilt, hat er nicht gesagt.
Die bevorstehende Kursänderung ist jedenfalls noch kein Sieg gegen die Welt-Guerilleros des Terrors. Schon gar nicht, solange Washington sich nicht an Maßstäbe des Rechts hält, wie es im Gesetz gegen Terrorverdächtige der Fall ist. Mit Besatzung, Gefängnis und Willkür ist weder der Guerilla noch dem Terror beizukommen. Dieser Fehler muss noch eingesehen und repariert werden. Hier können die Europäer mit gutem Rat zur Seite stehen.
Häme nach dem 7. November wäre nicht angebracht.

Artikel vom 24.10.2006