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Ein bunter Hund im Trauermonat
Warum die Jecken am 11.11. feiern und der Karneval erst Monate später beginnt
Doch, doch, die Menschen sind unterschiedlich. Wer's nicht glaubt, der schaue jetzt mal in Richtung Köln und Düsseldorf. 11.11., 11 Uhr 11. »Hör mir bloß auf. Jetzt fangen die schon wieder an mit dem Karnevalsgedöns«, stöhnt der gewöhnliche Norddeutsche in seine Novemberdepression hinein.
Welche den Rheinländer, vermutlich just aus diesem Grunde, erst ein paar Tage später heimsucht. Während am 11.11. in der Landeshauptstadt alle Jahre wieder der Hoppeditz erwacht und als Geist des Düsseldorfer Karnevals auf dem Rathausplatz im »Hoppeditz-Prolog« den Politikern der Stadt mit spitzer Zunge die Leviten liest (wofür er am Aschermittwoch verbrannt wird!), gehen die Kölner auf den Heumarkt - und feiern mit Kölsch.
Weil das Ganze diesmal auf einen Samstag fällt, kann der Rheinländer an sich wie auch der Besucher davon ausgehen, dass die Party in der Altstadt, auf der Straße wie in den Kneipen, mit und ohne Kostüm, recht munter ausfallen wird, zumal das Motto der Session Harmonie in Vielfalt verkündet: »Mir all sin Kölle«. »Ick bin ain Börlinä« hat da null Chance.
Gleichwohl ist der 11.11. nur ein Appetithäppchen auf das, was in Januar und Februar folgen wird und den eigentlichen rheinischen Karneval mit seiner ganzen Ausgelassenheit ausmacht. Merke: Am 11.11. ist noch nicht Karneval. Die Narren wollen nur zeigen: »Wir leben noch!« Sie starten ihre Vorbereitungen, stellen Prinzenpaar und Dreigestirn vor, erklären das Motto der Session - und verschwinden danach (und nach ein paar Kölsch oder Alt) erstmal wieder für Monate in der Versenkung.
Warum überhaupt der Elfte im Elften ins große Spiel kam, darüber gibt es mehr Vermutung als Wissen. Auf jeden Fall ist der Tag als feste Größe in der Gesamtgeschichte des Karnevals, die bis weit in vorchristliche Zeiten zurückreicht, eine recht junge Erfindung des 19. Jahrhunderts.
Als Narrenzahl war die Elf zwar schon lange bekannt. Wie viele Zahlen, so wurde auch sie im düsteren Mittelalter eher abergläubisch gedeutet. Die Heilige Schrift war der Schlüssel, um zu sehen, was gut und böse ist - und gab damit auch den Zahlen ihre Wertung. Und die Elf kennzeichnete somit alle Menschen, die außerhalb der Sittengesetze standen, also die zehn Gebote überschritten hatten. Ungestraft konnten sich das allenfalls Narren leisten.
Die Elf verwies allgemein auf Sünde und den damit unabwendbar verbundenen Weltuntergang. Auf Kupferstichen und Gemälden des 16. und 17. Jahrhunderts mit Darstellung des Jüngsten Gerichtes zeigen Uhren stets die elfte Stunde an.
Erst die Reform (und das bedeutete die Ordnung) des zuvor ziemlich aus dem Ruder gelaufenen Kölner Karnevals (Rüpelhaftigkeit, Unmoral, allgemeines Durcheinander) anno 1823 unter dem Eindruck der Französischen Revolution, deren Ideale Egalité, Liberté, Fraternité in dieser Weise kurzerhand in die »passende« Reihenfolge gebracht wurden, gab der Elf eine neue, positive Deutung: Eins neben Eins als Zeichen der Eintracht unter den Kölner Jecken.
Doch auch anders lässt sich der 11.11., und diesmal von kirchenhistorischer Seite, definieren. Papst Liberius legte anno 354 Jesu Geburtstag als Feiertag auf den 25. Dezember fest. Bereits kurz danach wurde analog zu Ostern eine 40tägige Fastenzeit eingeführt, die allerdings nicht am 25. Dezember, sondern erst am 6. Januar, an Epiphanie (Dreikönigstag), endete. Da im Abendland weder die Samstage noch die Sonntage zur Fastenzeit gerechnet wurden (Sonntagsbraten musste wohl sein...), erhielt man als Fastenbeginn den 12. November. Der 11. November, auch dem Heiligen Martin gewidmet, hatte somit eine ähnliche Funktion wie der Fastnachtsdienstag: Genauso wie am Vorabend des Beginns von Christi Leiden wurden die (Fleisch-)Vorräte vernascht, um von Aschermittwoch an 40 Tage bis Karsamstag zu fasten (aber nicht sonntags!).
Dass die frühere weihnachtliche Fastenzeit wie gehört am 6. Januar endete, erklärt auch, warum die ausgelassene Karnevalszeit allgemein erst an diesem Tag so richtig ihren Auftakt feiert.
Für den 11.11. bleibt - und da können sich die Vertreter der organisierten Fröhlichkeit ab 11 Uhr 11 noch so abstrampeln - die ernüchternde Erkenntnis, dass dieser Tag als bunter Hund im Trauermonat ziemlich einsam dasteht.
Ingo Steinsdörfer

Artikel vom 11.11.2006