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CDU-Sozialausschüsse fordern
Abriss von »Problemhäusern«

Diskussionspapier aus Ostwestfalen: Nachbarschaftskultur stärken

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB).
»Reden statt handeln« lautete am Freitag die parteiübergreifende Forderung nach einer Woche Diskussionen über die »Unterschicht«. Klaus-Dieter Kottnik, neuer Präsident des Diakonischen Werkes, begrüßte, »dass die Debatte in Gang gekommen ist, dass wir aufhören, Menschen in erster Linie als Kostenfaktor zu sehen«.

Problemhäuser zur Not auch abreißen, Sozialarbeit aus den Büros auf die Straße verlegen und sinnvolle Beschäftigung schaffen: Mit den vermutlich weitestgehenden Vorschlägen wollen die CDU-Sozialausschüsse (CDA) Menschen ohne Perspektive wieder erreichen. Die von der SPD losgetretene Debatte über Armut, Arme und soziale Schieflagen sei überfällig, heißt es in einem internen Papier, das derzeit in der NRW-CDU bis zu ihrem Vorsitzenden Jürgen Rüttgers kursiert. Und: Wichtig seien funktionierende Nachbarschaften und soziale Stadtteilentwicklung. Dazu gehöre eine Kultur des Hinschauens - nicht des Wegsehens.
»Verantwortung zu übernehmen, sich auch um die eigenen Kinder, um alte und behinderte Menschen kümmern, kostet nichts, nur Herz, Zeit und Mitgefühl, Herz für andere Menschen«, sagte CDA-Bezirkschefin Angelika Gemkow dem WESTFALEN-BLATT. Verbindliche Elternpflichten wie in anderen Ländern und mehr Zivilcourage, um Schwieriges offen anzusprechen, seien gefordert.
Soziale Schieflagen entstünden dort, »wo zu viele Menschen mit gleichem schwierigem Sozialverhalten zusammenleben«, heißt es in dem CDA-Diskussionspapier. Vieles sei »Folge der Förderung des Massengeschosswohnungsbaus in den 1970er Jahren«. Je größer die Stadt, je zahlreicher und kompakter die Mietwohnungen im Quartier, desto problematischer seien die sozialen Konflikte.
Wo aber noch die »Kirche im Dorf« stehe, wo Vereine existierten, Menschen bei der AWO, Caritas oder im Sportverein mitmachten, da funktioniere noch Nachbarschaftshilfe und das Interesse an anderen Menschen besser.
Die Vorschläge der CDA:
- Es gibt genug zu tun: Pflege der Umwelt und der Städte, das Kümmern um alte und behinderte, um alleinlebende und einsame Menschen.
- Aufsuchende soziale Hilfen der im Berufsfeld »Soziales« tätigen Mitarbeiter aus Ämtern und Sozialverbänden. Motto: »Weg vom Schreibtisch, vor Ort bei den Menschen sein.«
- Ausbildung und Weiterbildung sparen viel Geld im Sozialbereich.
- Vernetzung aller Akteure im Stadtteil und eine von den Kommunen angestoßene kleinräumige soziale Stadtteilarbeit.
- Förderung der Nachbarschaftskultur und der sozialen Kompetenz, besonders junger Menschen.- Ein verpflichtendes Sozialpraktikum im 9. oder 10. Schuljahr.
- Übernahme sozialer Verantwortung der Wohnungsgesellschaften.
- Besser Problemviertel oder einzelne Häuser abreißen als »weiter so« mit der fehlenden Mischung im Wohnungsbestand.
- Zurück zum Hausmeister-Prinzip, der ähnlich dem französischen Concierge, viel hört und sieht und Ansprechpartner ist, bevor es brennt.
Erforderlich sei eine Diskussion, wie mutlose, antriebslose, mittellose, bildungs- oder bindungslose Menschen veranlasst werden können, wieder Interesse an sich, ihren Kindern und der Gemeinschaft zu finden, sagte Frau Gemkow. »An diesen Menschen prallen Forderungen nach gesunder Ernährung und Bewegung völlig ab. Wenn das Geld für Zigaretten, Alkohol und Fertigessen weg ist, wird es fatal für die Kinder.«
Das Kernproblem bleibe die Langzeitarbeitslosigkeit, sagte auch der neu gewählte Diakonie-Präsident Kottnik. »Viele Kinder wachsen in einem Umfeld auf, in dem es keine Tagesstruktur und keine Motivation mehr gibt. Sie lernen nicht, dass man etwas leistet und dafür etwas bekommt.«
Konsequenz der Debatte müsse sein: »Es gibt genug Arbeit in Deutschland, sie muss aber gezielt verteilt und bezahlt werden. Ein dritter Arbeitsmarkt ist daher unverzichtbar.« Kommentar

Artikel vom 21.10.2006