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»Schweigen bedeutet Mittäterschaft«

Offener Brief einer russischen Journalistin an Bundeskanzlerin Merkel

Von Rolf Dressler
Moskau (WB). Russlands Führung zieht die Zügel immer straffer an. Ihr riesiger Überwachungsapparat scheint allgegenwärtig.

Die Medien werden gleichgeschaltet, unliebsame und unbeugsame Journalisten kaltgestellt, politisch mundtot gemacht oder sogar umgebracht. Vor diesem düsteren Hintergrund meldet sich jetzt Elena Tregubowa, eine regimekritische Moskauer Journalistin, zu Wort. In einem aufrüttelnden Offenen Brief richtet die Verfasserin des hochaktuellen Buches »Die Mutanten des Kreml« (Tropenverlag, Berlin) einen dramatischen Aufruf an Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Maßgeblich unter dem Eindruck der heimtückischen Ermordung ihrer Journalisten-Kollegin Anna Politkowskaja am 7. Oktober 2006 warnt Elena Tregubowa westliche Politiker davor, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin auf den Leim zu gehen.
Hier wesentliche Textpassagen des Briefes, der dem WESTFALEN-BLATT im Wortlaut vorliegt:
»Sehr geehrte Frau Merkel,
genau in dem Moment, als Sie die Hand des russischen Präsidenten Putin schüttelten, wurde in Moskau die weltbekannte Journalistin und Menschenrechtlerin An- na Politkowskaja beerdigt, die auf zynische Weise im Zentrum der russischen Hauptstadt ermordet worden ist. Sie war die konsequenteste und unbestechlichste Kritikerin Putins und seines Regimes ...
Vom ersten Tag seiner Präsidentschaft an hat Putin die freie Presse und die Opposition planmäßig vernichtet. Er hat alle un- abhängigen oppositionellen Fernsehsender in Russland liquidiert ... Inzwischen riskiert jeder, der sich für die Menschenrechte in Russland einsetzt, als westlicher Spion tituliert zu werden - genau wie zu Zeiten des Stalinschen Terrors ...
Glauben Sie wirklich, sehr ge- ehrte Frau Merkel, dass das russische Gas und das Erdöl eine ausreichende Bezahlung dafür sind, dass man die Augen vor der physischen Vernichtung der Op- position und der freien Presse in Russland verschließt? ...
Schweigen bedeutet in dieser Lage Mittäterschaft.
Hochachtungsvoll,
Elena Tregubowa« Leitartikel

Artikel vom 20.10.2006