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Der unsichere Aufschwung

Wirtschaftsinstitute legen ihr Herbstgutachten vor

Berlin (dpa). Die deutsche Wirtschaft wird nach Ansicht der sechs führenden Forschungsinstitute 2006 mit 2,3 Prozent so kräftig wachsen wie seit sechs Jahren nicht mehr.
Nach guten Zahlen für 2006 rechnen die Experten für 2007 mit schwächerer Konjunktur.

Der Aufschwung werde neben dem stark steigenden Export zunehmend von der Inlandsnachfrage getragen, teilten die Institute gestern in ihrem Herbstgutachten in Berlin mit. Die Experten hoben ihre Prognose vom April damit um 0,5 Prozentpunkte an. Im nächsten Jahr werde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) aber nur um 1,4 Prozent wachsen. Wichtigster Grund für diesen Dämpfer sei die restriktive Finanzpolitik der Regierung mit der größten Mehrwertsteuererhöhung in der bundesdeutschen Geschichte.
Bei der Bewertung der Wachstumsaussichten zeigten sich die Wirtschaftsforscher allerdings uneins. Einige Institute erwarten, dass die Konjunktur 2007 merklich an Tempo verlieren wird, vor allem weil der private Konsum noch nicht gefestigt sei. Andere Experten sehen nur eine kurzfristige Eintrübung und erklären, es gebe Anzeichen, dass der Aufschwung deutlich an Stärke gewonnen habe.
Die Institute warfen der großen Koalition Reformschwäche vor. Die Regierung könne sich offenbar nicht dazu durchringen, die Eingriffe des Staates zu reduzieren, »und mehr Eigenverantwortung zuzulassen«. Dies zeige sich zum Beispiel auch bei der Gesundheitsreform. Statt den Bürgern mehr Verantwortung zu geben, sollten die Ausgaben der privaten Krankenkassen bürokratisch gelenkt werden. Auch die Reform der Unternehmensbesteuerung werde wohl nur geringe Wachstumsimpulse auslösen. Für mehr Wachstum müsse der Staat viel mehr sparen. Es gebe noch »beträchtliche Einsparpotenziale«, schreiben die Institute.
Schlechte Noten erhält die Koalition auch für ihre Arbeitsmarktpläne. Zu befürchten seien »völlig unsystematische Maßnahmen«, insbesondere im Niedriglohnsektor und bei der möglichen Einführung eines Mindestlohns. Beides halten die Institute für schädlich.
Die Arbeitslosenquote werde 2006 im Vergleich zum Vorjahr von 11,2 auf 10,4 Prozent sinken, schreiben die Experten. Da die Unternehmen mehr Stellen schaffen, werde die Quote 2007 vorraussichtlich sogar auf 9,9 Prozent zurückgehen. Bei der Verschuldung wird Deutschland laut dem Gutachten in diesem Jahr ein Defizit von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nach Brüssel melden. Damit wird die EU-Defizitgrenze von 3 Prozent eingehalten. 2007 sinke das Defizit auf 1,4 Prozent.

Artikel vom 20.10.2006