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»Immer noch Tabuthema«

Olympia-Attentat als Stück unbewältigter Vergangenheit


Bielefeld (bp). Als sich der Terroranschlag auf die Olympischen Spiele in München ereignete, war Ulrike Draesner zehn Jahre alt, wuchs in München auf, war sozusagen Zeitzeugin. Ihr Roman »Spiele« ist auch ein persönliches Buch: Sie verknüpft - gut recherchiert - die Geschehnisse im Olympischen Dorf und auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck mit einer Familiengeschichte. Sie selbst erinnert sich gut an den Tag: »Die Olympischen Spiele waren eine einzige große Party, Musik überall, fröhliche Menschen, und plötzlich dieser abrupte Einschnitt: Die Menschen sind traurig, manche weinen, manche schimpfen.« Als Kind habe sie zum ersten Mal gespürt, dass Erwachsene nicht immer absoluten Schutz bieten können. Ulrike Draesner las gestern Abend aus »Spiele« in der Zentralbibliothek.
Auf die Idee, das Buch zu schreiben, sei sie bei einer Lesereise in den USA gekommen, als sie gefragt wurde, welche technische Errungenschaft ihr Leben in der Kindheit verändert habe. Ulrike Draesner: »Das war die S- und U-Bahn, die zu den Olympischen Spielen gebaut wurde - und da war ich quasi im Jahr 1972.« Sie habe gemerkt, wie wenig sie über die Ereignisse gewusst habe und zu recherchieren begonnen. Ihre Erfahrung: »Das, was vor 34 Jahren geschehen ist, ist in Deutschland immer noch ein Tabu, ein Stück unbewältigte Vergangenheit.«
Bei ihren Lesungen habe sie aber immer wieder gespürt, dass viele Menschen die Erinnerung an die Ereignisse noch mit sich herumtragen. Auf die Idee, ein Sachbuch zu schreiben, sei sie aber nie gekommen: »Auch rekonstruierte Geschichte hat immer mit Fiktion zu tun - die ganze Wahrheit werden wir nicht mehr herausfinden.« Steven Spielbergs Film »München« habe sie sich angeschaut, als ihr Buch längst fertig war: »Beim Abspann habe ich geheult - damit konnte ich für mich das Thema abschließen.«

Artikel vom 20.10.2006