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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Der bedeutendste unter den alttestamtentlichen Herrschern war zweifellos König David (um 1000 v. Chr.). Weder sein Vorgänger Saul noch einer seiner Nachfolger konnten ihm jemals das Wasser reichen. Erst ihm gelang das Kunststück, aus den verschiedenen Volksstämmen so etwas wie einen Staat zu formen und dabei insbesondere den nördlichen Stämmeverband, das ursprüngliche Israel, mit dem südlichen, nämlich mit Juda, zu vereinigen.
Taktisch klug erwies sich David dabei vor allem darin, keinen Ort aus den bereits von seinem Volk besiedelten Gebieten zur Hauptstadt des erweiterten und somit neuen Königreiches zu machen. Er erwählte statt dessen eine erst kurz zuvor von ihm selber eroberte Stadt, die bis dahin den Jebusitern, einem fremden Volk, gehört hatte und erst später den Juden ans Herz wuchs: Jerusalem. So konnte er Rivalitäten zwischen dem ehemaligen Nord- und Südreich von vornherein ausschließen; denn in der Hauptstadtfrage gab es keine Bevorzugung oder Benachteiligung.
David selbst war kein Königssohn und hatte es sich wohl auch nicht träumen lassen, einmal den Thron zu besteigen. Wie Saul entstammte er einem Bauerngeschlecht. Sein Vater Isai, ein Viehzüchter aus Bethlehem, traute außerdem seinem Sohn David am wenigsten zu, dieser sei zu Höherem berufen. Erst recht konnte er nicht wissen, dass er selbst einen Platz im Stammbaum Jesu bekommen sollte. Denn David und damit auch Isai - »von Jesse (= Isai) kam die Art« - gelten als Vorfahren Christi.
Als Saul zwar noch regierte, aber schon von allem Glück verlassen war (vgl. WB, 02.09.2006), wurde Samuel von Gott beauftragt, seinen Nachfolger bereits zum König zu salben. Auf die Handlung der königlichen Salbung geht übrigens die gewichtige Bedeutung des Wortes »der Gesalbte«, hebräisch »Messias«, griechisch »Christus«, zurück.
Im Hause Isais angekommen, fällt Samuels Auge dann sogleich auf dessen ältesten Sohn. Er hält ihn für den von Gott zum König Bestimmten. Doch er muss sich eines Besseren belehren lassen und sich eingestehen, dass menschliches Urteil sich sehr leicht von Äußerlichkeiten blenden und täuschen lässt. »Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an« (1. Sam. 16, 7), heißt es da. Sechs weitere Male ist Fehlanzeige, und an Samuel nagen erhebliche Zweifel.
Fast gibt er schon auf, fragt aber zur Sicherheit, ob Isai vielleicht noch weitere Söhne habe. Da erst erfährt er von David. Der ist vielleicht ein Nachkömmling und halbes Kind noch, aber immerhin schon gut genug, um draußen die Schafe zu hüten. Ansonsten scheint er in der Familie nicht recht zu zählen. Doch gerade er ist es, auf den Gott sein Auge geworfen hat und dem er zutraut, sein erwähltes Volk zu regieren.
Das Motiv der Umwertung aller Werte an dieser Stelle ist auch sonst in der Bibel immer wieder anzutreffen. Was Menschen für groß und gewichtig halten, kann in den Augen Gottes ganz anders erscheinen und sich vor ihm als unbedeutend erweisen, und umgekehrt gilt das auch.
Darauf will wohl auch die Erzählung von dem ungleichen Kampf zwischen dem noch jugendlichen David und dem Riesen Goliath (1. Sam. 17) hinaus. Letzterer ist ein Koloss von mehr als zwei Metern Länge, gerüstet und bewaffnet bis an die Zähne. Gegen ihn scheint David ohne Chance; das halten ihm auch seine Brüder vor und bezichtigen ihn des Hochmuts. Dann aber tritt David dem baumlangen Kerl in der Tat nur mit seiner Steinschleuder entgegen - und überwältigt ihn. Menschliches Imponiergehabe und menschliche Großmannssucht sind oft nur aufgebläht und hohl. Aber Gott stellt die richtigen Proportionen wieder her.

Artikel vom 21.10.2006