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Arzneireport:
Milliarden
verschwendet

Ärzte kritisieren Untersuchung

Berlin (dpa). Mit dem Verschreiben immer neuer Medikamente ohne Zusatznutzen vergeuden Deutschlands Ärzte laut Arzneiverordnungs- Report Milliarden zu Lasten der Beitragszahler.

Im Jahr 2005 hätten 3,5 Milliarden Euro gespart werden können, berichteten die Autoren der diesjährigen Studie gestern in Berlin. Weder mit dem jüngsten Arzneimittel-Spargesetz noch mit der geplanten Gesundheitsreform gelinge der Koalition die mögliche finanzielle Entlastung der Versicherten, sagte Herausgeber Ulrich Schwabe. »Dieser Regierung fehlt es nicht nur am Mut zu sozialen Reformen, sie ist auch beratungsresistent.«
Der pharmakritische jährliche Report basiert auf der Auswertung von 700 Millionen Verordnungen. Gesundheits-Staatssekretärin Marion Caspers-Merk (SPD) wies die Kritik zurück.
Der Einfluss der Pharmaindustrie auf die Ärzte sei in Deutschland besonders groß, heißt es in der Studie. Ärzte würden vor allem von 16 000 Pharmareferenten informiert, aber nur 16 Prozent dieser Informationen seien wissenschaftlich belegt. 30 000 der 130 000 Praxisärzte hätten allein mit einem einzigen Mittel (Nexium) bezahlte Anwendungsbeobachtungen im Auftrag der Pharmaindustrie durchgeführt.
In Ländern wie Schweden oder Großbritannien kosteten gängige Mittel wie Cholesterinsenker oft nur ein Zehntel des deutschen Preises. Der Report bestätigte den seit dem Frühjahr bekannten Anstieg der Arzneimittelausgaben 2005 um 3,6 Milliarden auf 25,4 Milliarden Euro.
Caspers-Merk: »Ihre Zahlen sind bedrohlich, aber sie sind alt.« Dank des Arzneimittel-Spargesetz seien die Arzneimittelkosten von April bis Ende September im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um zwei Prozent gesunken. Die geplanten 1,3 Milliarden Einsparungen pro Jahr würden erreicht.
Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Verband Forschender Arzneihersteller (VFA) übten Kritik an dem Report. KBV-Vorstand Ulrich Weigeldt verwies auf den Ende vom VFA vorgelegten »Arzneimittel-Atlas«: »Mehrausgaben im Gesundheitswesen beruhen auf einer verbesserten Versorgung schwer- und schwerstkranker Patienten.«
Nach Angaben des Reports hätten 2005 1,6 Milliarden Euro eingespart werden können, wenn teure, patentgeschützte und stark beworbene Mittel durch vergleichbare günstige Nachahmerpräparate ersetzt worden wären. Weitere 1,3 Milliarden hätten durch Generika auch in anderen Fällen gespart werden können.
Der Verband der Betriebskrankenkassen berichtete unterdessen, dass aufgrund des Arznei-Spargesetzes 900 000 Patienten Medikamente ohne Zuzahlung von fünf bis zehn Euro erhalten. Das Gesetz erlaubt Zuzahlungs-Befreiungen bei besonders günstigen Medikamenten. Die Krankenversicherten hätten damit 8,5 Millionen Euro gespart, die Kassen 9 Millionen Euro.
Der Spareffekt für die Krankenkassen ergibt sich, da die Kassen vermehrt günstige statt teurer Mittel bezahlen müssen.

Artikel vom 20.10.2006