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Einmal von Passau nach
Cernavoda und zurück
Bei einem prickelnden Kreuzfahrt-Cocktail Europas Vergangenheit erleben
Ein Tunnel aus Licht, der immer enger wird. Grelle Blitze. Dann ist mit einem Schlag scheinbar alles wieder normal. So oder ähnlich inszeniert Hollywood Reisen durch die Zeit. Die Wirklichkeit ist weniger technisch, dafür mit mehr als nur einer Prise Romantik angereichert.
Mathematisch betrachtet bewegt man sich auf einer Zeitreise anno 2006 durchschnittlich mit Tempo 20 über eine Distanz von mehr als 3600 Kilometern. Dafür benötigt man kein futuristisches Raumschiff, sondern vielmehr ein schickes Kreuzfahrtschiff. Aber etwas futuristisch wirkt die »MS Flamenco« durchaus mit ihrem voll verglasten Vorderschiff.
Von Passau nach Cernavoda und zurück - das kommt wirklich einer Zeitreise gleich, man durchquert nicht nur sieben Länder, sondern auch 1000 Jahre europäische Geschichte. Diese Spanne umfasst so bedeutsame Ereignisse wie die Gründung der erzbischöflichen Bibliothek von Kalocsa, die österreichische k.u.k.-Monarchie, den Niedergang Bulgariens und Rumäniens in den Zeiten der sozialistischen Schreckensherrschaft, den Zerfall Jugoslawiens und die Bombardierung von Belgrad und Novi Sad. Und erst seit die Spuren dieses Krieges, sprich die Trümmer der Donaubrücken von Novi Sad, weggeräumt sind, können Kreuzfahrtschiffe wieder die Donau von Passau bis zum Delta befahren.
Das Unternehmen Nicko-Tours bietet diese Tour gleich in zwei Varianten an. Entweder geht es in die Schilfwildnis an der rumänisch-ukrainischen Grenze, oder nach Constanta und an die Schwarzmeerküste.
Die Organisation der Reise ist ein logistisches Meisterwerk, um im Wochenrhythmus zu bleiben. Statt in sieben Tagen das kurze Stück von Passau bis Budapest zu befahren, geht es in der doppelten Zeit auf die rund dreifache Strecke. Vielseitiger kann man Europa nicht erleben!
Da man allerdings keine Zeit hat, die lebendige Clubszene in Budapest und Belgrad nachts zu erleben und sich das Kulturprogramm an Bord auf das Gastspiel einer »Operetten-Nachtigall« beschränkt, werden von diesen Touren hauptsächlich Senioren angelockt. Schade eigentlich, denn die Donau symbolisiert nicht nur Europas Vergangenheit, sondern auch die Zukunft dieses Kontinents.
Vom Prunk in Wien und Budapest und der eindrucksvollen Landschaft an der Wachau und am Eisernen Tor bis hin zur öden, flachen Walachei oder dem trostlosen bulgarischen Rousse erleben die Kreuzfahrer die ganze Palette dessen, was Europa ausmacht. Und bekommen so manche Überraschung geboten. Die größte ist sicherlich das hübsche Novi Sad mit seiner fantastischen Kulturszene.
Neben Budapest ist das Herz der serbischen Vojvodina die Stadt, die am schnellsten den Weg ins moderne, westliche Europa gefunden hat. Einen Wermutstropfen träufeln die Serben freilich dennoch in diesen prickelnden Kreuzfahrt-Cocktail: Sie lassen beim Grenzübertritt mitten in der Nacht die Passagiere wecken und zur Passkontrolle antreten. Da hat Hoteldirektor Achim Kuhn sichtlich Mühe, die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen.
Dass es ihm gelingt, ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass die »MS Flamenco« ansonsten ein überaus stimmiges Produkt ist: Küchenchef Jürg Riederer zaubert auch aus bürgerlichen Gerichten kulinarische Schmankerl, Kreuzfahrtdirektorin Birgit Fuchs erweist sich als ebenso gute Organisatorin wie auch kenntnisreiche Reisebegleiterin.
Und die Crew vermittelt im Umgang untereinander und mit den Gästen, dass man sich an Bord als große Familie versteht. So lässt sich selbst Kapitän Dragan Djordevic beim »Piratenabend« gefesselt durch das Restaurant führen, treiben Stewards und Gäste kräftig Schabernack miteinander.
Wer auf dieser Reise alle Ausflüge machen will, muss allerdings auf einige Schiffspassagen verzichten. Während die Gäste mit dem Bus zur Besichtigung von Bukarest, Pecs, Bratislava und der Wachau aufbrechen, macht die »MS Flamenco« ordentlich Kilometer.
Und es führt auch dazu, dass man zuweilen abenteuerliche Anleger anlaufen muss - wie den im rumänischen Turnu Magarele, wo ein verrottetes Chemiekombinat die bizarre Kulisse bietet. Welch ein Gegensatz zur Lichterfahrt durch das nächtliche Budapest, wo das Schiff das illuminierte Parlament, die Kettenbrücke und den Burgberg passiert, ehe es in die dunkle Puszta hinaus geht.
Viele Gäste auf dieser Reise sind Wiederholer. Wer die klassische siebentägige Donaukreuzfahrt absolviert hat, bekommt automatisch Appetit auf »mehr«. Fast könnte man fragen: »Welchen Tag haben wir heute? Donnerstag? Ach, dann muss dies Serbien sein.« Die Eindrücke der so unterschiedlichen Städte prasseln wie ein Feuerwerk auf die Gäste ein. Doch es gibt auch besinnliche Momente - wenn die »Flamenco« die liebliche Wachau mit der Ruine von Dürnstein passiert, die Sonne gülden über der eintönig flachen Küste der Walachei versinkt oder die Passagiere auf dem Oberdeck den Dakerkönig Decebal zeichnen, dessen Kopf nach dem Vorbild von Mount Rushmore in die Felsen des rumänischen Donaugebirges gemeißelt wurden.
Thomas Albertsenwww.nicko-tours.com

Artikel vom 28.10.2006