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Aids räubert in Ost-Afrika
wie einst die Sklavenjäger

»Niemand schläft mit dem Tod« - Kirche letzte moralische Instanz

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Der sterbende schwarze Mann in seiner Hütte - dieses Bild von Aids in Afrika kennt fast jeder. Aber die Vorgeschichte sieht anders aus.
Klärt auf: Erzbischof Paul Bakyenga, Uganda.

»Am Anfang stehen gesunde, schöne Menschen«, die ein Auto, ein Haus, vielleicht sogar ein Geschäft besitzen«, erzählt Erzbischof Paul Bakyenga, der aus Anlass des Weltmissionssonntags 2006 Deutschland bereist. Es seien die starken, die gutausgebildeten und genau jene Männer und Frauen, die auch Uganda, sein Land, am dringendsten brauche.
Das Schweigen der Erkrankten steht am Anfang, weil immer noch Angst vor sozialer Ausgrenzung bestehe. Es folge eine Odyssee von einem Krankenhaus zum nächsten, das Ringen um die auch in Malawi und Tansania oft kostenlosen, aber viel zu knappen Aids-Medikamente und schließlich der Verkauf von Haus und Hof, um teuere Behandlungen zu ermöglichen. Das Ende ist Siechtum am Rande.
So wie die Menschenjäger einst durch den schwarzen Kontinent zogen, so räubere die Plage Aids mitten in der Gesellschaft, sagt Bakyenga im Gespräch mit dem WESTFALEN-BLATT. »Größte Herausforderung seit dem Sklavenhandel« nennt der Vorsitzende der katholischen Bischöfe Ostafrikas die tödliche Immunschwächekrankheit.
Anders als etwa Malaria und Tuberkulose kommt der Tod schleichend und verführerisch daher. »Niemand schläft mit dem Tod«, sagt der Erzbischof von Mbarara. Inzwischen geht in Uganda die Infektionsquote von mehr als 15 Prozent auf heute 6,7 Prozent zurück. Aber Zahlen sind dem 62-jährigen Gottesmann weniger wichtig. »Wir müssen den Menschen Informationen geben.«
Aufklären, aufklären, aufklären: Das ist die Devise ganzheitlicher Sozialarbeit und seelesorgerischer Betreuung. Erstaunlich offen geht die Kirche mit immer noch zu großer sexueller Freizügigkeit, Unvorsicht und »negativen traditionellen Praktiken« um. Tabus und Stigmas müssen gebrochen werden.
»Dass Männer mit Frauen schlafen«, auch vor der Ehe und mit wechselnden Partnern, weiß der der Oberhirte. Es lässt ihn aber nicht das eigentliche Ziel aus den Augen verlieren. »Wir wollen die jungen Leute zur Verantwortung anhalten, ihnen klar machen, dass sie ihre Zukunft klar planen müssen.«
Kondome werden dazu von Seiten der Kirche nicht verteilt. Die scheinbare Sicherheit habe nur zur Unvorsicht beigetragen, sagt Bakyenga, der die 68er Bewegung und ihre Vorstellungen von sexueller Revolution während seines Studiums in Europa noch gut in Erinnerung hat. Die Kirche setzt auf sexuelle Enthaltsamkeit und eheliche Treue, duldet aber ergänzende staatliche Programme, die auch Präservative ausgeben.
Nicht Rom, sondern das Wirken der kleinen Gemeinden mache die Kirche zur letzten moralischen Instanz vor Ort, sagt Bakyenga. Todgeweihte vertrauten ihren Priestern nicht nur ihre privatesten Nöte an, sondern hinterlegten bei ihnen auch Testamente und die Sorge um die künftige Entwicklung ihrer Angehörigen. Nicht selten sind Vater und Mutter gleichzeitig dem Tod geweiht.
Wo es drei bis fünf verlässliche christliche Familien gäbe, da bilde sich Mitverantwortung für die Schwachen. »Wenn da jemand krank wird, denn wissen die das.« Waisenkinder kommen erst bei den Nachbarn unter. Werden die Lasten zu drückend, wird der Bischof eingeschaltet.
»Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht«: Das Internationale Hilfswerk Missio aus Aachen hat dieses Wort Gottes an Josua als Motto für diesen Sonntag in den katholischen Kirchen ausgegeben. Bereits seit Anfang Oktober, so am 3. Oktober in Paderborn, wird über Aids in Ost-Afrika informiert und für kirchliche Programme gesammelt.

Artikel vom 20.10.2006