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Berlin erhält nicht mehr Geld

Bundesverfassungsgericht weist Klage ab - Entschuldungspakt gefordert

Karlsruhe (dpa). Trotz eines Schuldenbergs von mehr als 60 Milliarden Euro erhält das Land Berlin keine zusätzlichen Gelder vom Bund. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wies gestern die Klage der Hauptstadt auf Anerkennung einer extremen Haushaltsnotlage und auf zusätzliche Sanierungshilfen vom Bund ab.

Während das Urteil in Berlin als bitter empfunden wurde, begrüßten es vor allem wohlhabende Länder als »richtungweisend«. Neben einer Neuregelung der Finanzbeziehungen im Rahmen der Föderalismusreform II wurde von einigen Landesregierungen ein Verschuldungsverbot gefordert. Die Bundesregierung reagierte erleichtert.
Nach Überzeugung der Karlsruher Richter befindet sich Berlin zwar in einer angespannten Haushaltslage. Diese könne das Land aber »mit großer Wahrscheinlichkeit« aus eigener Kraft überwinden. Bundeshilfen zur Sanierung eines Landes seien nur in seltenen Ausnahmefällen möglich, wenn eine Existenzbedrohung nicht anders abzuwehren sei. Der Senat fällte seine Entscheidung einstimmig, sagte Gerichts-Vizepräsident Winfried Hassemer.
Das Gericht mahnte Regelungen zum Umgang mit Not leidenden Landeshaushalten an. Obwohl Karlsruhe bereits 1992 auf das Problem hingewiesen habe, sei das Instrumentarium des geltenden Finanzausgleichs mit der Bewältigung von Haushaltssanierungen einzelner Länder überfordert, sagte Hassemer.
»Wir benötigen ein Instrumentarium, das die Haushaltsdisziplin der staatlichen Ebenen gewährleistet und der Entstehung von Haushaltsnotlagen frühzeitig entgegen wirkt«, erklärte die Parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium, Barbara Hendricks (SPD), für die Bundesregierung. Mit Blick auf Bremen und das Saarland sprach sie von einer »erheblichen Präzedenzwirkung« des Urteils.
Das ebenfalls hoch verschuldete Saarland teilte indes mit, es werde an seiner Finanz-Klage gegen den Bund festhalten. Das Urteil habe die Notwendigkeit bestätigt, die Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu überprüfen, sagte Saar-Regierungschef Peter Müller (CDU). Auch Bremen sah trotz der abweisenden Entscheidung Karlsruhes zu Finanzspritzen für Berlin eine »gute Chance« auf Bundeshilfen.
Die Haushaltsprobleme Berlins liegen nach Überzeugung des Gerichts bei den nach wie vor zu hohen Ausgaben. Der Vergleich mit dem Stadtstaat Hamburg zeige, dass Berlin für Hochschulen, Wissenschaft und Kultur deutlich mehr ausgebe als die Hansestadt. Zudem könne das Land seine Einnahmen etwa durch die Anhebung der Gewerbesteuer oder den Verkauf der landeseigenen Wohnungen verbessern.
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) kündigte an, die Hauptstadt werde weiter an der Konsolidierung des Haushaltes arbeiten. Er könne sich aber nicht vorstellen, dass sein Land in den nächsten Jahren ohne neue Nettokreditaufnahmen auskomme, sagte Wowereit in Karlsruhe. Auch hinsichtlich der Sparmöglichkeiten bei den Kulturausgaben ist er skeptisch: »Es macht keinen Sinn, dass die Kultur in Berlin sich auf das Niveau einer Kleinstadt reduziert.«
Mehrere Ministerpräsidenten bezeichneten das Urteil als »Sieg der soliden Finanzpolitik«. Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff (CDU) erneuerte seine Forderung nach einem nationalen Entschuldungspakt. NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers will sich dafür einsetzen, dass »wir eine Schuldenbremse und ein Frühwarnsystem bekommen.«
Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck erteilte Plänen für eine Fusion mit Berlin eine prompte Absage.

Artikel vom 20.10.2006