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Viele verzichten auf Hilfe

Staatliche Unterstützung bleibt ungenutzt - verdeckte Armut

Millionen Erwerbstätige lassen geringen Verdienst nicht aufstocken.

Düsseldorf (dpa). Mehrere Millionen Bedürftige in Deutschland nehmen einer wissenschaftlichen Studie zufolge ihren Anspruch auf staatliche Hilfen nicht wahr.
Darunter sind knapp zwei Millionen Erwerbstätige, die ihren geringen Verdienst nicht aufstocken lassen, obwohl das möglich wäre. Das geht aus einer Studie der Frankfurter Verteilungsforscherin Irene Becker für die Hans-Böckler-Stiftung hervor. Wie die gewerkschaftsnahe Stiftung gestern in Düsseldorf berichtete, erhalten nur 7,4 Millionen von mehr als 10 Millionen Menschen mit Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld tatsächlich Hartz-IV-Leistungen.
Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit verrate deshalb nur »die halbe Wahrheit über Hilfebedürftige in Deutschland«, folgerte Becker. 1,9 Millionen Geringverdiener nähmen offenbar ihren Anspruch auf aufstockende Leistungen nicht wahr. Damit liege die Zahl der bedürftigen Erwerbstätigen etwa drei Mal so hoch wie die 900 000 gemeldeten Lohnaufstocker.
»Sie leben in verdeckter Armut - und mit ihnen etwa eine Million Kinder«, stellte Becker fest. Betroffen seien vor allem gering Qualifizierte, Teilzeitbeschäftigte, die keine volle Stelle finden, sowie Familien mit drei oder mehr Kindern. Hinzu kämen 1,5 Millionen Haushalte, die auch ein Vollzeiteinkommen nicht vor Bedürftigkeit schütze.
Die Ökonomin hat für ihre Studie das Ausmaß der Bedürftigkeit auf Basis einer seit 1984 fortgeschriebenen Datensammlung geschätzt. Dabei seien die jüngsten zur Verfügung stehenden Zahlen von 2004 zu Grunde gelegt worden. Für das so genannte sozioökonomische Panel werden jährlich mehr als 11 000 Haushalte vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin befragt.

Artikel vom 19.10.2006