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Verschlucken kann tödlich sein

Symposium über Dysphagie mit 150 Teilnehmern

Bielefeld (sas). 20 Prozent der Menschen, die nach einem Schlaganfall sterben, erliegen einer Lungenentzündung. Die haben sie sich zumeist durch Verschlucken zugezogen, dadurch, dass Speisen in die Lunge geraten sind. »Schluckstörungen werden häufig unterschätzt - und häufig nicht erkannt«, sagt Privatdozentin Dr. Martina Hielscher-Fastabend.

Die Klinische Linguistin veranstaltet mit Prof. Dr. Peter Clarenbach, Chefarzt der Neurologie am Ev. Krankenhaus Bielefeld, und Sönke Stanschus vom Karlsbader Schluckzentrum bis Samstag ein Symposium zur Dysphagie. Etwa 120 Teilnehmer, 15 Studierende und 20 Referenten konnte Hielscher-Fastabend gestern im Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität begrüßen.
»Man rechnet damit, dass jeder zweite Schlaganfallpatient in den ersten Wochen Probleme mit dem Schlucken hat«, sagt Hielscher-Fastabend. Schwierig wird es, wenn die Patienten dies selbst nicht merken oder äußern können und auch Ärzte und Pfleger das Problem nicht erkennen. »Dann bleibt nur der Versuch einer klinischen Klärung durch Tests«, sagt die Klinische Linguistin.
Wie die Therapie aussieht, hängt von den Ursachen der Schluckstörung ab. »Manchmal muss der Schluckreflex im Gehirn wieder aktiviert werden.« Das kann durch säuerliche Kost gelingen, die Speichelfluss und Schluckreflex auslöst. Ebenso aber kann eine Stimulation des hinteren Gaumensegels mit einem eiskalten Stäbchen helfen. Auch Kelhkopfhebeübungen, Dehnungen und Klopfen kann die Empfindsamkeit und Nerventätigkeit anregen, ergänzt Hielscher-Fastabend.
Ist allerdings eine einseitige Lähmung der Strukturen im Kehlkopf Ursache des Problems, versuchen die Therapeuten - Logopäden und Klinische Linguisten - dem Patienten Tricks beizubringen, die das kompensieren. Und schließlich gibt es neurologisch aktivierende Medikamente, die aber oft unspezifisch sind.
Von der Dysphagie sind aber nicht nur Schlaganfall-, sondern auch Parkinsonpatienten betroffen. Bis zu 80 Prozent haben irgendwann damit zu schaffen, sagt Clarenbach. Ebenso leiden Kinder mit Behinderungen, mit motorischen oder neurologischen Störungen nicht selten darunter. Wie sie in Heimen - nichtsahnend und unwissentlich - gefüttert würden, sei »haarsträubend«, beklagt Hielscher-Fastabend.
Wenn Schluckprobleme erkannt werden, werde schnell eine Magensonde gelegt, ergänzt sie. »Es gibt Fälle, in denen es nicht anders geht. Aber es gibt eben auch Fälle, in denen die Patienten wieder an normales Schlucken gewöhnt werden können.« Das allerdings ist langwierig. »In Kliniken und Reha-Einrichtungen müssen dazu wirklich alle Abteilungen zusammenarbeiten: die Ärzte, das Pflegepersonal, Logopäden, Physio- und Ergotherapeuten und schließlich auch die Küche.«
Denn auch die richtige Konsistenz der Nahrung spielt eine Rolle: Wenn die Speise nicht richtig gekaut werden kann oder vorab in den Kehlkopf rutscht, darf sie weder krümelig noch eine Suppe sein. Denn im schlimmsten Fall kann der Patient, der sich verschluckt hat, nicht abhusten. Ambulant erfolge die Reaktivierung des Schluckens so gut wie nie, bedauert Hielscher-Fastabend.

Artikel vom 20.10.2006