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Böhmer: »unterschwelliger
Rechtsradikalismus«

Sachsen-Anhalt: antisemitische Demütigung eines 16-Jährigen

Magdeburg (dpa). Die antisemitische Demütigung eines Schülers in Sachsen-Anhalt ist für Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) ein Indiz für unterschwelligen Rechtsradikalismus in der Gesellschaft. Dieser Extremismus werde vor allem »durch Einzelaktionen junger Leute deutlich«.

Drei Schüler im Alter von 15 und 16 Jahren hatten am Donnerstag einen 16-jährigen Mitschüler in Parey nordöstlich von Magdeburg gezwungen, ein Schild mit einem judenfeindlichen Spruch zu tragen. Auf dem Schild stand: »Ich bin im Ort das größte Schwein, ich lass mich nur mit Juden ein!«
Böhmer sagte in der ARD, die Täter könnten dies nur »entweder aus einem Geschichtsbuch oder einem Dokumentationsbericht über die Judenverfolgung während der Nazi-Zeit entnommen haben«. Das beweise ihm, »dass sie wussten, was sie tun, und dass eigentlich die innere Hemmschwelle verloren gegangen sein muss«. Das Land Sachsen-Anhalt habe sich Mühe gegeben, in der Lehrplangestaltung die NS-Vergangenheit zu berücksichtigen und »besonders deutlich zu machen, was für eine schlimme Zeit das war«. Dabei sei man aber »noch nicht so erfolgreich« gewesen wie erhofft.
Die Staatsanwaltschaft Stendal hat die Ermittlungen wegen Verdachts auf Volksverhetzung, Nötigung und Beleidigung aufgenommen. Nach Angaben der Behörde erschien das der linken Szene zugehörige Opfer am Donnerstag mit kahl geschorenem Kopf und Springerstiefeln in der Schule. Die Tatverdächtigen, die mit der rechten Szene sympathisieren, fühlten sich provoziert und zwangen den Schüler mit massiven Drohungen, sich das Schild umzuhängen. Eine Lehrerin alarmierte die Polizei.
»In vielen ostdeutschen Regionen herrscht ein diffuses Gefühl, benachteiligt zu sein, und das führt zu Sehnsüchten nach autoritären Strukturen«, sagt ein Kenner der Neonazi-Szene und des dörflichen Lebens in den neuen Bundesländern, der Buchautor Toralf Staud, der selbst aus Sachsen-Anhalt stammt. »Es gibt die heimlichen Sympathisanten, die dörflichen Naiven und die politischen Verharmloser.«

Artikel vom 16.10.2006