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Kinderrechte sollen
in die Verfassung

Familienministerin von der Leyen: »Zeit ist reif dafür«

Bremen (dpa). Nach dem Tod des kleinen Kevin aus Bremen hat Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Debatte über die Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung neu belebt.

»Die Zeit ist reif dafür«, sagte von der Leyen. Der Staat habe wie die Eltern gegenüber den Kindern eine besondere Schutz- und Förderfunktion, betonte die Ministerin.
Nach Auffassung des Göttinger Verfassungsrechtlers Hans Hugo Klein geht der Vorstoß der Ministerin allerdings zu weit. »Es ist ja nicht so, dass Kinder keine verfassungsmäßigen Rechte hätten. Alle dort formulierten Grundrechte gelten auch für Kinder«, sagte Klein. Der Fall Kevin in Bremen habe weder etwas mit dem Grundgesetz, noch etwas mit mangelhaften bestehenden Gesetzen zu tun. »Bei diesen ganzen unglückseligen Fällen sind es in der Regel Vollzugsmängel. Also eine Frage, wie Behörden handeln«, sagte Klein.
Die Mehrzahl der Bundesländer hat die Rechte der Kinder bereits in der Verfassung verankert. Die Bundesrepublik unterzeichnete vor 14 Jahren zwar die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, ins Grundgesetz wurden die Rechte der Kinder jedoch noch nicht explizit aufgenommen.
In der »Welt am Sonntag« wies Ursula von der Leyen auch auf die Isolation in bildungsarmen Familien hin: Sie sei zum Teil »Besorgnis erregend«. Innerfamiliäre Gewalt komme dort zwei bis drei Mal so häufig vor wie in anderen Familien.
Bremens Regierungschef Jens Böhrnsen (SPD) sagte, er habe als Sofortmaßnahme verabredet, »dass in den nächsten Tagen überall dort, wo im Elternhaus Probleme bekannt sind, alle Kinder Besuch von professionellen Helfern bekommen.«
Die Leiche Kevins, der unter der Vormundschaft des Jugendamtes stand, war am vergangenen Dienstag im Kühlschrank seines drogensüchtigen Vaters entdeckt worden. Danach waren grobe Fehler der Bremer Sozialbehörde bekannt geworden. Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) trat zurück, der Leiter des Jugendamtes wurde vom Dienst suspendiert. Gegen zwei Mitarbeiter der Behörde wurden strafrechtliche Ermittlungen wegen Vernachlässigung der Fürsorgepflicht eingeleitet.
»Man durfte nicht nur Papiere lesen, Vermerke schreiben und Sitzungen abhalten. Man hätte regelmäßig das Kind besuchen und sich mit eigenen Augen überzeugen müssen, wie es ihm geht und wie es betreut wird«, sagte Böhrnsen. Der Schutz von Kindern habe jederzeit einen höheren Rang als jede Haushaltslage. Notfalls müsse eben eine Straße weniger gebaut werden.
Mehr Zivilcourage von Behördenmitarbeitern forderte auch Renate Künast, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Viele Kommunen seien derzeit aber überfordert. »Dem Jugendamt wird der Geldhahn zugedreht, die Mitarbeiter sind oft über ihre Grenzen hinaus belastet«, kritisierte sie.
Nach den Worten des Sozialpädagogen Herbert Blüml vom deutschen Jugendinstitut haben früher Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) bei jeder Geburt automatisch die Familien besucht. »Das ist vor 20 Jahren abgeschafft worden«, sagte er der »Berliner Zeitung.« Nach dem Bericht des Blattes war im Bremer Stadtteil Gröpelingen, wo Kevin lebte, ein Sozialarbeiter für 116 Kinder zuständig.
Einem Bericht des Nachrichtenmagazins »Focus« zufolge haben die Eltern Kevins ihren Sohn schon im September 2004 mit schweren Verletzungen wie einem Schädelbruch ins Krankenhaus gebracht und erklärt, dass damals acht Monate alte Kind habe sich im Kinderbett die Brüche selbst zugefügt. Die Klinik habe daraufhin das Jugendamt informiert. Die Staatsanwaltschaft konnte den Bericht aber nicht bestätigen.

Artikel vom 16.10.2006