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»Beweglicher Mittelständler«

Haller Wellmann GmbH ist Teilhaber eines Jointventures in Polen

Halle (WB). Während die Branche - getreu dem Follow-the-customer-Prinzip - ihren Auftraggebern ins Ausland folgt, profitieren seine Kunden schon vom Hase-und-Igel-Prinzip: Der 44-jährige Gerhard Wellmann ist nicht nur Gründer und Geschäftsführer der Wellmann GmbH in Halle/Westfalen, sondern auch Teilhaber eines Jointventures in Polen.

Das Sinnbild »Hase und Igel« steht dafür, dass Wellmann seine Kunden nicht mehr nach Osteuropa begleiten muss. Er ist schon da.
Wellmann ist Musterbeispiel dessen, was die Theoretiker einen »beweglichen Mittelständler« nennen. 1992 gründete er sein Ingenieurbüro für Anlagenbau in der heimischen Garage. Heute zählt das Unternehmen mehr als 50 Mitarbeiter und bilanziert mehr als sieben Millionen Euro Jahresumsatz. Die Wellmann GmbH entwickelt, produziert und wartet Anlagen-technik in hygienischen Produktionsprozessen. Und entwickelt sich selbst laufend weiter.
Strukturveränderungen in den Branchen der Kunden bewegen Wellmann seit der Gründung, sein Unternehmen immer wieder neu zu erfinden: Als der Konzentrationsprozess in der Milchverarbeitung die Zahl der Fabriken und Kunden drastisch minimierte, erschlossen sich die Haller mit der Süßwarenindustrie, der Getränkewirtschaft und der Pharmaindustrie neue Absatzmärkte.
Zuletzt sind die Verarbeiter nachwachsender Rohstoffe hinzugekommen: Erst jüngst montierte Wellmann eine Klein-Raffinerie für Rapsöl. Der Markt ist noch gänzlich unbesetzt. »Denn das, was unsere Kunden brauchen, können sie bei den etablierten Anlagenbauern der internationalen Petrochemie so nicht kaufen«, so Wellmann. Für die Haller Ingenieure war der Prozesstransfer die größte Herausforderung. Wellmann: »Wie Raffination im Großen funktioniert, war bekannt, wie es im Kleinen wirtschaftlich geht, haben wir herausgefunden.«
Der Kunde, der die Rapsöl-Raffination in Auftrag gab, will demnächst in Polen eine Produktion aufbauen. Wellmann ist - getreu dem Hase-und-Igel-Prinzip - schon da: In der kleinen Ortschaft Jaworzyna Slaska, unweit von Breslau, gibt es das Unternehmen Bujak & Wellmann, ein Jointventure, das Wellmann seit 2003 mit seinem ehemaligen Haller Mitarbeiter Pawel Bujak aufbaut. Mittlerweile arbeiten dort 30 Schweißer und Monteure.
Wellmann hat fast alle Arbeiten, die besonders lohnintensiv sind, von Westfalen nach Polen ausgelagert. Die Arbeitsteilung mit der teuren Ingenieurleistung in Deutschland und der preiswerten Vormontage in Polen zahlt sich aus. Wellmann: »De facto helfen unsere polnischen Kollegen, unsere Jobs in Deutschland zu sichern.«
Das Unternehmen erschließt sich nicht nur aktiv neue Branchen im Inland, sondern auch neue Märkte im Ausland. 1998 lieferte er die erste Anlage nach Saudi- Arabien, 2000 ging die erste Maschine nach Lettland. Heute bringt Wellmann der junge Markt im Osten gerade mal einen Jahresumsatz im Wert von zwei Mittelklasseautos. 2002 stellte er auf einer Fachmesse in Moskau aus, im gleichen Jahr bot er einem jungen Weißrussen ein Berufspraktikum in Deutschland. Zu neuen Geschäften in der ehemaligen Sowjetunion führte beides jedoch nicht. 2003 wurde Wellmann-Anlagentechnik zum ersten Mal in der Schweiz montiert. In diesem Sommer war der Haller in Vietnam unterwegs. Das Ergebnis: Für Oktober hat sich Gegenbesuch angekündigt.
Neue Wege zu prüfen und zu gehen, kostet Geld. Wellmann: »Wir sind dann erfolgreich, wenn wir ausreichend verdienen, um Neues wagen zu können.« Neues hat Wellmann auch in Sachen Organisation und Personalpolitik gewagt. Für ein junges Unternehmen ist der Altersdurchschnitt mit 39 Jahren relativ hoch. »Wir schätzen Erfahrung und Motivation der Älteren«, sagt der 44-Jährige. Die bringen neben Wissen auch Erfahrung ein, sind es oft auch gewohnt, selbstständig zu arbeiten. Für unabdingbar halten die Haller zudem eine straffe Organisation und ein funktionierendes Controlling. Wellmann: »Als Unternehmer kann man vieles angehen, wenn man seine Zahlen und sein Risiko genauestens kennt.« Voraussetzung für den Erfolg sei, dass man »den Papierkram« genauso wichtig nehme wie das Handwerk. Dann könne ein Unternehmen auch in schwierigen Märkten qualitativ wachsen. Auch, wenn das nicht immer leicht sei. Wellmann: »Aber einfach wäre auch langweilig, oder?«

Artikel vom 21.10.2006