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Der Himmel über Bielefeld

Kirchenkreis zeigt seine irdischen Güter im Historischen Museum

Von Burgit Hörttrich
Bielefeld (WB). »Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio«, lässt Shakespeare seinen Hamlet sagen. Und ähnlich, so Historiker Dr. Gerhard Renda, habe man sich gefühlt, als man nach und nach die Exponate für die Ausstellung »Zwischen Himmel und Erde - Evangelische Kirche und Moderne in Bielefeld« zusammen getragen habe. Die Ausstellung wird am Sonntag, 15. Oktober, 11.30 Uhr im Historischen Museum eröffnet.

Die Ausstellung untersucht die Veränderungen, die seit der Industrialisierung die evangelische Kirche im Kirchenkreis Bielefeld durchlaufen hat. Der Kirchenkreis, 1817 gegründet, war ursprünglich riesig, reichte bis an die hessische Grenze. 1817, so Dr. Britta Bley, Kuratorin der Ausstellung, markiert die Schnittstelle zur Moderne, den »Vorabend der Industrialisierung«. Für Superintendentin Regine Burg zeigt die Ausstellung nicht zuletzt, welche Herausforderungen die Kirche zu bestehen hatte: »Kirche war niemals ein Hort, in dem immer alles so bleibt wie es ist«. Kirche sei kein statisches Gebilde, Kirche lebe nicht unter himmlischen, sondern unter irdischen Bedingungen. Was nicht zuletzt für die Jetztzeit gelte.
Bei der Gestaltung der Ausstellung, so Monika Melchior, sei man von der »Basis, dem Gemeindeleben« ausgegangen. Zunächst, ergänzt Britta Bley, sei die Ausbeute aus den 30 Bielefelder Gemeinden vergleichsweise dünn gewesen, nach und nach aber hätten sich viele Dinge auch aus Privatbesitz gefunden, die das Kirchenleben dokumentieren; ergänzt wurden diese Exponate durch museumseigene, bislang nie gezeigte Bestände. Erweckungsbewegung, die Gründung von Posaunenchören, das Engagement für Hilfsbedürftige, die »Hauptstadt der Diakonie« - auch darauf geht die Ausstellung ein. Daneben sind Beispiele von Kirchenbau und kirchlicher Kunst zu sehen. »Begrüßt« werden die Besucher der Ausstellung von Reformator Martin Luther persönlich. Der ist auf einem riesenhaften Bild, das aus der ehemaligen Martini-Kirche stammt, abgebildet. Den Übergang von der alten zur neuen Zeit dokumentieren zum einem Glocken aus der Lukaskirche - die Menschen richteten ihren Tageslauf am Glockenschlag aus - zum anderen da Uhrwerk aus der ehemaligen Martini-Kirche. Dr. Gerhard Renda: »Der Beginn buchstäblich einer neuen Zeit.«
Zu sehen sind ein Fenster der Ubbedisser Notkirche, das so genannte Nebekästchen, Geschenk für den Generalsuperintendenten Dr. Gustav Nebe, in dessen Amtszeit (1883-1905) 105 Kirchen gebaut wurden. Sie alle sind in dem Kästchen, das wirkt wie ein Hausaltar, als Fotografien aufzublättern. Zu sehen sind Kirchenbänke, Gesangbücher, Klingelbeutel, die Gedenktafel aus der Stiftskirche, die an die Gefallenen der Befreiungskriege (1813-1815) erinnert, Fotos, Gemälde. Eine private Leihgabe ist ein Taufkleid, das zwischen 1901 und 1911 benutzt wurde. Die Namen der acht Kinder, die dieses Kleid zur Taufe getragen haben, sind eingestickt. Namen wie Traugott, Lotta, Emma, Karl-August, Gerhard. . . Daneben steht ein Brautkleid - in schwarz, zu Beginn des 20. Jahrhunderts übliche, weil praktische, Kleidung.
Abgehört werden können Weihnachtspredigten Bielefelder Pfarrer, man kann Posaunenmusik lauschen - und den Himmel erleben. Gregor Zöllig, Leiter des Bielefelder Tanztheaters, hat mit den beiden Tänzerinnen Claudia Braubach und Polina Ogryzkova den Tanzfilm »Himmelerde« gedreht. Die Hauptrolle spielen darin die vier Elemente. Den Endlosfilm können Museumsbesucher liegend erleben. . . Zöllig wurde angeregt durch ein Gedicht von Kurt Rose: »Dass Erde und Himmel dir blühen/ dass Freude sei größer als Mühen/ dass Zeit auch für Wunder dir bleib/ und Frieden für Seele und Leib!«.
Im Mittelpunkt der Ausstellung: ein »Zeitstrahl« von 1817 bis heute.
Die Ausstellungsmacher wünschen sich nicht zuletzt Besucher aus allen 30 Gemeinden des Kirchenkreises, die alle in der Ausstellung vorkommen. Schließlich wusste schon Hildegard von Bingen: »Du hast in Dir den Himmel und die Erde«.

Artikel vom 14.10.2006