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Bürger bejubeln die
Viktoria im Feierglanze

Vor 200 Jahren: Bielefelder Triumphzug mit Quadriga

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Als der Bielefelder Hermann Bernius die Wahlstatt von Waterloo betrat, lief ihm Napoleon über den Weg. »Leider hatte ich meinen Fotoapparat im Auto vergessen«, bedauert der »Schlachtenbummler«. Wenn heute die preußischen Armeen von den Franzosen bei Jena und Auerstedt geschlagen werden, soll ihm das nicht wieder passieren.

Im Ernst: Der historisch interessierte Juwelier, mittlerweile im Ruhestand, besuchte vor einem Jahr die Stätte der entscheidenden Niederlage Napoleons, in dessen Uniform ein Schauspieler geschlüpft war. Und wenn sich am heutigen Samstag Preußens schwärzester Tag zum 200. Mal jährt, treten zur Nachstellung der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt gut 1200 Mitglieder militärhistorischer Vereine aus 15 europäischen Ländern, aus den USA und Kanada an.
Allein Deutschland schickt 485 Akteure ins Feuer, Garde- und Leichte Infanterie, Kavallerie mit 40 Pferden, Artillerie mit zehn Kanonen und Tambours de la Garde. Die Amerikaner übrigens stellen den Napoleon (»Mister Davout, please, vernichten Sie das Korps Hohenlohe!« - »Mission accomplished, sir!«)
Hotelzimmer in Jena? Fehlanzeige! Überall Uniformierte. Plus mindestens 15 000 Zuschauer. »Meine Frau und ich kommen zum Glück bei Verwandten unter«, sagt Bernius erleichtert.
Die Stadt Bielefeld hat mehr mit Jena und den Folgen zu tun, als der Laie vermuten würde. Am Teuto wurde ein französisches Detachement einquartiert und logierte im Gasthof »Zur grünen Tanne« in der Nähe des Nebelstors. Das stand nicht weit von der Stelle, an der heute Nebelswall und Hans-Sachs-Straße von der Kreuzstraße abzweigen, und wird gleich noch eine Rolle spielen.
Was bisher geschah: Der siegreiche Korse hatte aus Berlin neben vielen Kunstschätzen - ein Beobachter will »80 bis 100 kolossale Kisten« gezählt haben -Ê auch die Quadriga vom Brandenburger Tor einpacken und auf dem Wasserwege via Hamburg nach Paris verschiffen lassen. Die Friedensgöttin Eirene in ihrem von vier Rossen gezogenen Wagen sollte einen noch zu erbauenden Triumphbogen schmücken, aber diese Pläne zerschlugen sich.
Als also die Alliierten im März 1814 Paris einnahmen, fand man die Quadriga noch »originalverpackt« vor, und Marschall Blücher forderte lautstark ihre Rückgabe: Schadows Skulpturenensemble war während der Befreiungskriege zum Nationalsymbol geworden. Die Hauptstädter hingegen, typisch Berliner Schnauze, sprachen nur noch von der »Retourkutsche«.
Die nämlich kehrte nun im Triumphzug zurück. Und am Nebelstor stellte man fest: Sie passte nicht hindurch. Den jubelbereiten erstarb das Vivat auf den Lippen, so dass man kurzerhand die Sandsteinpfeiler abbrach. Die 15 auf sechs Wagen verteilten Kisten, über und über mit Tannengrün geschmückt (durch die Butzenscheiben der »Grünen Tanne« lugten pikiert les Français herüber), verziert mit deutscher Festtagslyrik auf Karton, rumpelten anschließend durch die Kreuzstraße, den Scharren hinunter und durch die Breite Straße zum Gehrenberg.
In der Einfahrt zum Alten Markt der nächste Engpass: Zwei Eckhäuser sprangen zu weit in die Straße vor - also frästen die Techniker in Höhe der Radachsen Nuten ins Fundament, und weiter ging's durch die Niedernstraße. Schließlich dann zum Niederntor wieder hinaus aus der Stadt.
Hier nun das den Triumphzug verherrlichende Gedicht aus Bielefeld (ein Sammelband mit allen Versen war noch in den 1920er Jahren zu haben):
»Viktoria! Im Feierglanze/ Kehrst Du, der Preußen hehres Bild,/Noch rauscht der Jubel! Im Lorbeerkranze/Erscheinst Du, unser Freiheitsbild.«
Wieso Victoria? Hieß die Dame nicht Eirene? Nun ja, Siege sind doch schöner als der Frieden. Preußens König Friedrich Wilhelm III. jedenfalls ließ die am 30. Juni 1814 wieder auf dem Brandenburger Tor aufgestellte Figurengruppe so lange verhüllen, bis auf der Parierstange ein Eisernes Kreuz im Eichenkranz angebracht war - am 7. August 1814 blickte also eine Siegesgöttin auf die Paradeformationen herab.

Artikel vom 14.10.2006