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Als bescheidener »Bankier der Armen« aus Bangladesh hat sich Muhammed Yunus weltweit einem Namen gemacht. Am Freitag nahm er telefonisch viele Glückwünsche entgegen. Neben ihm seine Frau Afrozi.

Ein Bankier für die Bedürftigen
revolutioniert das Kreditsystem

Wirtschaftsprofessor Muhammad Yunus erhält den Friedensnobelpreis

Von Simon Denyer
Oslo/Dhaka (Reuters). Als ein Mann, der wahrscheinlich mehr als jeder andere für die Ärmsten der Armen getan hat, entschuldigt sich Muhammad Yunus nicht dafür, dass er Bettlern grundsätzlich nichts gibt.

Yunus hat die Grameen Bank gegründet, die umgerechnet 4,5 Milliarden Euro in Kleinstkrediten vergeben und mehr als sechs Millionen Bangladescher damit einen Weg aus ihrer Armut ermöglicht hat. Sein Modell revolutionierte das bis dahin gängige System und wurde inzwischen in mehr als 100 Staaten kopiert - von Uganda bis zu den USA. Gründer und Institut erhalten dafür den Friedensnobelpreis 2006.
Yunus will den Armen Hilfe zur Selbsthilfe geben, gemäß dem Prinzip: Wer dem Hungernden einen Fisch gibt, hilft ihm für einen Tag. Wer ihm das Angeln beibringt, hilft ihm für ein ganzes Leben. Folglich reagiert er nie, wenn ihm ein blinder oder verkrüppelter Bettler oder eine Mutter mit Baby auf dem Arm die leere Hand hinstreckt. »Ich fühle mich schlecht dabei, dass ich diese Menschen zurückweise. Aber ich halte mich gezielt zurück.«
»Ich würde eher versuchen, das Problem zu lösen, als mich nur für diesen einen Tag um diesen Menschen zu kümmern.« Der Professor für Volkswirtschaft arbeitet seit 1976 daran, das Problem dieser Ärmsten zu lösen. Dafür hat er den Mikro-Kredit erfunden, mit dem ein ganz neues Konzept der Finanzierungshilfe verknüpft. Seinen ersten Kleinstkredit in Höhe von umgerechnet 21,50 Euro vergab Yunus noch aus seiner Privattasche in einem Dorf ganz in der Nähe seines Wohnortes Chittagong an 42 Frauen, die aus Bambusröhren Möbel flochten.
Die Frauen waren in die Fänge von Kreditgebern geraten, die Wucherzinsen verlangten. Yunus' erstes Ziel war es schlicht, örtliche Banken davon zu überzeugen, den Frauen aus der Patsche zu helfen und reguläre Darlehen zu geben. Für die Banken waren die Armen aber nicht kreditwürdig, und sie hielten es reihum für unmöglich, Geld ohne Sicherheiten zu vergeben. Yunus beschloss, das Gegenteil zu beweisen.
Heute verleiht die Grameen Bank Geld an 6,6 Millionen meist weibliche Kreditnehmer und dies bei einer Ausfallrate von gerade einmal einem Prozent. »Ich bin sehr froh, dass ich immer weiter gemacht habe und dass das Projekt sich zu einem richtigen Institut entwickelt hat«, sagte Yunus. »Was wir getan haben, hat das ganze Bankensystem gründlich in Frage gestellt.«
Grameen heißt Dorf. Der Name spiegelt wider, worauf das Prinzip basiert: kleine dörfliche Gemeinschaften zu fördern und mit Krediten eine Entwicklungsperspektive zu geben. Dass das Projekt über das bloße Geldverleihen hinausgeht, zeigen die Leitlinien. Die Teilnehmer werden angehalten, das Leben in ihren Dörfern mit Disziplin, Eintracht, Mut und harter Arbeit zu verändern. Sie sollen ihre Hütten nicht verkommen lassen, deren Zustand ständig verbessern und auf hygienische Mindeststandards achten.
Grameen wendet sich auch gegen fest eingefahrene Traditionen, die den Weg in ein besseres Leben verstellen: Es fordert dazu auf, Familien klein zu halten und sich bei Heiraten nicht wegen Aussteuer und Mitgift finanziell zu verausgaben.
Yunus ist 1940 in Chittagong als Sohn eines Goldschmieds geboren. Hier war er Wirtschaftsprofessor, als sich sein Leben im Alter von 34 Jahren schlagartig veränderte. 1974 hatte eine Hungersnot Hunderttausende von Menschen in Bangladesch hinweggerafft und Yunus fragte sich, wozu seine ganzen volkswirtschaftlichen Theorien eigentlich gut sind. »Ich fing an, mich selbst zu hassen, die Arroganz, in der ich so tat, als wüsste ich mit meinen eleganten Wirtschaftstheorien die Antwort.«
»Wir Professoren waren alle so intelligent, aber wir wussten nichts über die Armut um uns herum.«
Also beschloss er, neue Wege einzuschlagen: »Ich entschied, dass die Armen selbst meine Lehrer sein sollten.« Sein Erfolg gibt ihm recht: Wenn man den Armen denselben Zugang zu Krediten gibt wie den Reichen, dann gelingt auch ihnen eine Vermehrung von Geld und Gut. »Man muss es den Menschen selbst überlassen. Sie können für sich selber sorgen. Man muss kein Mitleid mit ihnen haben. Sie sind immens leistungsfähig.«

Artikel vom 14.10.2006