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»Abschied ohne Zeitdruck in Würde nehmen«

Neues Projekt der evangelischen Kirchengemeinde Ummeln ist bisher einmalig in Bielefeld

Von Ulrich Hohenhoff
(Text und Fotos)
Ummeln (WB). Das ist neu und bisher einmalig in Bielefeld, jedenfalls auf öffentlichen Friedhöfen: die evangelische Kirchengemeinde Ummeln richtete in der Friedhofskapelle einen Abschiedsraum ein, in dem Angehörige am offenen Sarg Abschied nehmen können.

In einer Feierstunde, zu der Architektin Karin Friedrich-Wellmann, die beteiligten Handwerker und das Presbyterium eingeladen waren, stellten Karola Schütter, Kirchmeisterin und Friedhofsbeauftragte der Kirchengemeinde Ummeln, Pfarrerin Annette Kleine und Martin Roloff, Pfarrer und Vorsitzender des Presbyteriums, das Projekt vor und bedankten sich bei allen Beteiligten für die gelungene Ausführung.
Die Initiative zur Errichtung des neuen Abschiedsraumes ging von der Friedhofsbeauftragten Karola Schütter aus. Die hatte während einer Studienfahrt Abschiedsräume in holländischen Friedhofskapellen kennen gelernt, die durch ihre geradezu wohnliche Atmosphäre zum Verweilen einladen. »Sich Zeit zu nehmen, wenn es sein soll, sogar viel Zeit, für den Abschied von dem verstorbenen Menschen, das war auch unser Anliegen,« erläutert Annette Kleine.
In der Ummelner Friedhofskapelle stand ohnehin eine Renovierung an. Der Aufenthaltsraum für die Angehörigen im Stil der 70er Jahre entsprach dem heutigen Geschmack schon lange nicht mehr. Annette Kleine: »Vor allem der sehr enge und sehr funktionale Aufbahrungsraum war unbefriedigend. Angehörige hatten kaum Platz, neben dem Sarg zu stehen«. Und so entschloss sich das Presbyterium zu einer größeren Umbaumaßnahme. Aus zwei Aufbahrungskammern wurde ein Raum geschaffen, ein Erker davor gesetzt und so entstand der geräumige, moderne Abschiedsraum.
Bereits wenn Besucher auf die Friedhofskapelle zu gehen, fällt der neue Raum schon von außen ins Auge. Ein großes Fenster mit hellem Rollo, in das ein weithin sichtbares Kreuz eingeprägt ist, symbolisiert, dass hier etwas Besonderes entstanden ist. »Das Rollo ist Sichtschutz, aber auch transparent für das Licht. »Und Licht fällt auch durch das eingeprägte Kreuz in den Raum hinein und macht es, besonders, wenn die Sonne dahinter steht, zu einem eindrucksvollen Hoffnungszeichen,« sagt Pfarrerin Annette Kleine. Außen sind die Wände rechts und links der Fenster mit Messingplatten verkleidet, die schon nach wenigen Wochen etwas Patina annehmen. »Ein Zeichen der Vergänglichkeit,« erläutert die Pfarrerin.
Im Inneren fungieren zwei halbrunde Paravents aus Holz als Raumteiler. »Von denen geht etwas Schützendes aus.« Zudem gibt es viele Sitzgelegenheiten, damit die ganze Familie oder die Nachbarschaft sich hinsetzen kann, um sich die Zeit zum Abschied zu nehmen, die für sie richtig ist. »Die Stühle sind leicht, damit man sie nehmen und dorthin stellen kann, wo man sitzen möchte - ganz nahe am offenen Sarg oder auch mit Abstand«, meint Karola Schütter. Der Abschiedsraum sei vor allem dazu gedacht, dass Menschen vor der Beerdigung bei ihren Verstorbenen sein und ein letztes Mal Abschied nehmen könnten.
»Manche brauchen mehr Zeit, um einen plötzlichen Todesfall begreifen zu können. »Begreifen« sei dabei durchaus wörtlich gemeint. »Dazu gehört auch, den toten Menschen anzufassen, zu drücken, zu küssen - ein letztes Mal. Die Zeit sollen die Angehörigen hier haben,« sagt Annette Kleine. »Und wenn Menschen sich scheuen, mit ihren Verstorbenen allein zu sein, sind Pfarrerin oder Pfarrer der Gemeinde gern bereit, dazu zu kommen.« Das neue Angebot der evangelischen Friedhofs Ummeln soll zudem der Tendenz entgegenwirken, die Toten immer schneller aus dem Blickfeld verschwinden zu lassen. »Abschied nehmen braucht Zeit, und gerade auch die Zeit zwischen Eintritt des Todes und der Beerdigung ist wichtig für das 'Begreifen' des Todes und damit für den Prozess der Trauer,« erläutert Annette Kleine.
Auch der Angehörigenraum und das Vorbereitungszimmer der Pfarrerin oder des Pfarrers (zugleich Durchgang für Angehörige zum Abschiedsraum) wurden neu gestaltet und eingerichtet. Seit Mai läuft die Planung und Realisierung des Projektes. Fast 70 000 Euro muss die Gemeinde für die Maßnahmen aufwenden. Angehörige können sich vom Bestatter und der Bestatterin aufschließen lassen für die Zeit, die man miteinander verabredet hat. »Das können mehrere Stunden sein«.
Am Totensonntag, 26. November ist der (leere) Raum von 11 bis 12.30 Uhr und von 15 bis 16.30 Uhr für alle geöffnet, die einmal schauen wollen. Das ist auch zu anderen Zeiten möglich - nach vorherige Absprache mit der Friedhofsbeauftragten Karola Schütter.

Artikel vom 16.10.2006