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Leyen will Frühwarnsystem

Kinderschützer: Jugendamtsmitarbeiter haben zu viele Fälle

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Nach dem Tod des zwei Jahre alten Kevin in Bremen will Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen die Vernachlässigung von Kindern durch ein neues Frühwarnsystem verhindern.

»Im Fall Kevin hat das Zusammenspiel der staatlichen Hilfen sträflich versagt«, sagte die CDU-Politikerin gestern in Berlin mit Blick auf den Tod des Kindes, das unter staatlicher Vormundschaft stand. Um künftig vernachlässigte und misshandelte Kinder früh zu finden, investiere das Ministerium zehn Millionen Euro in ein Frühwarnsystem. Familien, die mit der Erziehung überfordert sein könnten, sollen spätestens von der Geburt an begleitet werden.
Der Kinderschutzbund NRW hat bereits in den sechs Städten Bielefeld, Dortmund, Emmerich, Essen, Herne und Siegen Frühwarnsysteme eingerichtet. Dabei arbeiten Ärzte, Hebammen, Lehrer, Mitarbeiter der Jugend- und Sozialämter sowie der Sozialdienste eng zusammen, um Hilfebedarf frühzeitig zu erkennen. Dadurch könnten »Überforderung und Kurzschlussreaktionen der Eltern etwa bei Schreikindern« verhindert werden, sagte der stellvertretende Amtsleiter des Dienstleistungszentrums Jugend, Soziales und Wohnen der Stadt Bielefeld, Michael Wendt, gestern dieser Zeitung.
Bielefelds Verwaltung setzt auf Pflegefamilien und »Erziehungspatenschaften«, um die Unterbringung eines Kindes im Heim möglichst zu vermeiden. Die Zahl der Kinder, die aus Familien herausgeholt wurden, ging von 224 im Jahr 2003 auf 177 im vergangenen Jahr zurück. Gleichzeitig stieg die Zahl der Fälle, die erzieherische Hilfe erfordern, auf jetzt 1900 an.
Der Kinderschutzbund NRW forderte Städte und Gemeinden gestern auf, die Jugendhilfe finanziell besser auszustatten. »Der Betreuungsschlüssel ist zu groß, die Mitarbeiter benötigen Zeit, um Beziehungen zu den Familien aufzubauen und zu pflegen«, sagte Geschäftsführer Friedhelm Güthoff dieser Zeitung.
In Bielefeld bearbeitet ein Mitarbeiter im Schnitt 60 Fälle, was der zuständige Beigeordnete Tim Kähler als »akzeptabel« bezeichnete. Angesichts wachsender Arbeitsbelastung könne die Sozialverwaltung allerdings nicht noch schlanker werden.
Die Projektleiterin der »Kinderlobby OWL«, Gabriele Stillger, kritisierte »Kürzungen im Kinder- und Jugendhilfeetat«. Dadurch wachse der Druck auf die Mitarbeiter, preisgünstige Maßnahmen zu wählen. Das berge die Gefahr, dass Kinder zu lange in Problemfamilien bleiben. Eine ambulante Beratungsstunde kostet etwa 25 Euro, die Unterbringung in einer stationären Einrichtung (Heim) mindestens 120 Euro pro Tag.
Die »Kinderlobby OWL«, eine Einrichtung der Arbeiterwohlfahrt, informiert in Kindergärten und Schulen über die Rechte Heranwachsender. Bielefelds Beigeordneter Kähler forderte die Bürger zur Wachsamkeit auf: »Gegen die Kultur des Wegsehens können die Jugendämter nicht anarbeiten.« Nicht nur für Kevin aus Bremen sondern auch für ein Baby in Hamburg kommt dieser Appell zu spät. Ein Passant entdeckte gestern dessen Leichnam in einer Tüte in einem Gebüsch. Seite Ostwestfalen-Lippe:
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Artikel vom 13.10.2006