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Dokumente eines Verbrechens

US-Holocaust-Museum zeigt in Dresden erstmals Ausstellung in Europa

Von Jörg Schurig
Dresden (dpa). Im Sommer 1941 haben die Nazis eines ihrer Verbrechen auf Millimeterpapier dokumentiert. Die Hartheim-Statistik zeigt, welche Einsparungen sich an Lebensmitteln erzielen lassen, wenn geistig behinderte Menschen nicht mehr ernährt werden müssen.
Romazwillinge, an denen im KZ Experimente vorgenommen wurden. Die Ausstellung läuft bis zum 24. Juni 2007.

In unterschiedlichen Farben sind die Zahlen der »Desinfizierten« in den Anstalten Pirna-Sonnenstein, Bernburg, Hartheim und Hadamar notiert. Mit Desinfizierten meinten die Täter des Dritten Reiches getötete Menschen. Das Blatt Millimeterpapier gehört zu den 400 Exponaten, die das United States Holocaust Memorial Museum Washington D.C. erstmals außerhalb Nordamerikas zeigt.
Für die Schau mit dem deutschen Titel »Tödliche Medizin. Rassenwahn im Nationalsozialismus« hatte sich das Hygiene-Museum Dresden beworben und erhielt nach reiflichem Nachdenken der Amerikaner den Zuschlag. »Das Deutsche Hygiene-Museum war eine Täterinstitution«, sagt Museumschef Klaus Vogel. Es habe damals mit Unterrichtsmaterial, Filmen und Ausstellungen propagiert, was »lebenswert« war oder nicht.
Seit gestern sind in der sächsischen Hauptstadt erschütternde Dokumente eines Verbrechens zu sehen, das in der gezielten Vernichtung eines ganzen Volkes gipfeln sollte und sechs Millionen Juden das Leben kostete.
Die »Endlösung« ist im letzten Teil der Ausstellung thematisiert.
Ärzte, Erbforscher und Schreibtischtäter sollten die angebliche biologische Überlegenheit der »arischen Herrenrasse« belegen. Die Folgen sind bekannt. Dabei machten die Nazis auch vor eigenen Volksgenossen nicht halt. Von 1933 bis 1945 ermordeten sie mehr als 200 000 Menschen im Zuge der Euthanasie, 400 000 weitere wurden Opfer von Zwangssterilisationen.
»Es gibt Momente, wo es einem kalt den Rücken herunterläuft«, sagt die Anglistin Antje Uhlig. Sie hat die Exposition aus Washington für Dresden eingerichtet. Da gibt es zum Beispiel die Fotoserie, wo psychiatrische Patienten im okkupierten Weißrussland zur Vergasung gebracht werden. Ein Mann lächelt den Fotografen geradezu an. Auch das Bild der jungen Frau mit Kind kurz vor einer Massenerschießung in Lubni (Ukraine) lässt den Betrachter nicht los. Am Ausgang hängen Fotos und Biografien von Protagonisten des Rassenwahns - für viele ging nach dem Zweiten Weltkrieg die Forscherkarriere weiter.
»In den USA und Kanada haben 720 000 Menschen die Ausstellung gesehen«, berichtet die amerikanische Kuratorin Susan Bachrach. Großen Zuspruch erhofft sich auch das Deutsche Hygiene-Museum, wo die »Tödliche Medizin« bis 24. Juni 2007 zu sehen ist.
www.dhmd.de

Artikel vom 13.10.2006