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Kinderlobby OWL klärt
über die Rechte auf

Schutz vor Gewalt »fängt bei den Backpfeifen an«

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Kinder haben nicht immer Recht, aber sie haben immer Rechte: Unter diesem Motto setzt sich die bundesweit einmalige »Kinderlobby OWL« der Arbeiterwohlfahrt (AWO) für den Schutz der Jungen und Mädchen ein.

»Wir klären die Heranwachsenden in Kindergärten und Schulen über ihre Rechte auf«, sagte die Projektleiterin Gabriele Stillger gestern dieser Zeitung. So hätten beispielsweise im vergangenen Jahr ehrenamtliche Helfer an allen Grundschulen in der Kleinstadt Enger (Kreis Herford) über die UN-Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989 informiert. Viele Jungen und Mädchen wüssten nicht, dass sie Rechte haben, hat Stillger beobachtet. Dazu gehören der Anspruch auf Bildung und Gesundheit sowie Gleichheit und Beteiligung genauso wie der auf Freizeit, Spielen und Ruhe.
Das Recht auf Schutz vor Grausamkeit, Gewalt, Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch ist erschreckend aktuell, nachdem in Bremen der zweieinhalbjährige Kevin tot im Kühlschrank gefunden wurde. »Der Schutz fängt bei den Backpfeifen an«, betont Stillger und fordert, dass die Aufklärung über Kinderrechte Pflichtbestandteil des Schulunterrichts wird. Um die Heranwachsenden zusätzlich für das Thema zu sensibilisieren, hat sich die »Kinderlobby OWL« einen Kunstkalender einfallen lassen. Jungen und Mädchen beschäftigen sich kreativ mit dem Thema Kinderrechte. Der nächste Kalender wird im nächsten Jahr mit einer Auflage von 3000 Exemplaren erscheinen.
Die Kinderlobby OWL wurde 2001 von der Arbeiterwohlfahrt als Modellprojekt gegründet. Drei Jahre lang übernahmen das Land Nordrhein-Westfalen und die Glücksspirale die Finanzierung, inzwischen trägt sich die Kinderlobby selbst. 1100 Freiwillige engagieren sich in ihr, indem sie Sprachförderung durch Vorlesen betreiben, bei Hausaufgaben helfen, Kinderfeste organisieren, Städte und Dörfer auf Kinderfreundlichkeit überprüfen und Jugendparlamente fördern.
Gabriele Stillger, die 1996 die Zufluchtsstätte »Mädchenhaus Bielefeld« gründete, forderte den Gesetzgeber auf, das Kindeswohl über den Elternwillen zu stellen. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) berücksichtigt ihrer Meinung nach zu sehr die Interessen der Erziehungsberechtigten: »Ohne deren Zustimmung können die Mitarbeiter der Jugendämter bei jüngeren Kindern nichts mehr machen.« Es müsse erst zu nachweisbarer Anwendung von Gewalt kommen, ehe eingeschritten werden dürfe. Die Ausführungsbestimmungen seien zu schwammig, kritisierte die 48-jährige Diplom-Pädagogin.
Um eine »Kultur des besseren Hinsehens« zu fördern, befürwortet Stillger ein Gesetz, wonach sich jemand strafbar macht, wenn er Fälle von Kindesmisshandlung und -verwahrlosung beobachtet, aber nicht dem Jugendamt oder der Polizei meldet.
Allerdings könnten solche Vorschläge dem Anschwärzen vorschub leisten. Die Bielefelder Sozialbehörde berichtete gestern von zahlreichen Anrufen der Bürger als direkte Folge der Berichterstattung über den Fall Kevin. Mit den Worten »bei meinem Sohn in der Wohnung ist es so siffig«, habe eine Großmutter das Jugendamt zum Kontrollbesuch aufgefordert, erzählte der stellvertretende Amtsleiter Michael Wendt.

Artikel vom 13.10.2006