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Die »Süddeutsche Zeitung« über den Firmen-Magneten Zug am See

»Auf der Suche nach Gerhard Schröder wird man in der 'Puppenstube mit Nettovorteil' fündig.«

Leitartikel
Banditen, Macht und Politik

Der Zug
nach Zug reißt
viele mit


Von Rolf Dressler
Eine triftige Volksweisheit lautet: Der Mensch sollte sich nie dümmer stellen als er ist. Und ahnungsloser natürlich auch nicht.
Doch selbst wer diese wohlmeinende Empfehlung zu beherzigen versucht, findet sich in unseren energiegeladenen Merkel/Putin/Gasprom/Eon-Tagen nur mühevoll zurecht. Sofern er überhaupt und wenigstens halbwegs das durchschaut, was dem Bürgerpublikum der Wähler, Steuer- und Abgabenzahler da vorgespielt wird auf dem großen Wettlauf-Theater um die überlebenswichtigen Bodenschätze der Erde.
In der Rolle des schneidend kühlen Sonnenkönigs produziert sich Russlands Präsident Wladimir Putin. Keiner mimt wie er den Herrscher über die unermesslich wertvollen Rohstoff-Vorräte seines Riesenlandes, Erdgas vor allem sowie Erdöl, Gold und vieles mehr: »Ganz Europa braucht unsere Energie!« So gönnerhaft wirft sich nur jemand in die Brust, der europa- und sogar welt-energiepolitisch am längeren Hebel sitzt.
Statur und beachtliche Standpunktfestigkeit zeigte unterdessen Deutschlands Regierungschefin Angela Merkel. Sie konfrontierte ihren Großmacht-Gast Wladimir Putin bei dessen Visite vorgestern in Dresden mit dem Verlangen, die Ermordung der hochangesehenen, den Kreml-Herren aber missliebigen Journalistin Anna Politkowskaja so gründlich und rasch wie nur irgend möglich aufzuklären und gebührend zu sühnen.
Dennoch mäkeln hierzulande nicht wenige Zeitungs- und Fernsehkommentoren an der Bundeskanzlerin herum: Das reiche nicht aus; mit Putin müsse man härter ins Gericht gehen, undsoweiter. Verdächtig ist nur, dass dieselben Kritiker einen gewissen Gerhard Schröder ungeschoren lassen.
Der Ex-Kanzler, dank Putins Gunst und Fürsprache als »Gas- prom«-Aufsichtsratsboss faustdick im milliardenschweren Russengas-Geschäft - daran nimmt kaum jemand Anstoß. Dabei spürt man den unguten Beigeschmack förmlich auf der Zunge.
Mafia-Banditen und die bestimmende Politik verwachsen in Russland immer enger miteinander, sagte nach dem Mord an der Journalistin Politkowskaja deren gleichfalls kremlkritischer Berufskollege Sergej Solowkin.
Er meint damit das zwielichtige »System Putin«. Zu dessen Hauptstützen aber gehört der gigantische, teilstaatliche Mischkonzern Gasprom, der machtpraktischerweise gleich auch noch Russlands Presse-, Fernseh- und Hörfunklandschaft steuert - ganz nach Putins Geschmack. Meinungsfreiheit, zerrieben zwischen Energie-Management, Geldscheffelei und modernem Kreml-Zarentum.
Derweil posiert SPD-Altkanzler und Gasprom-Neu-Vorarbeiter Gerhard Schröder für die Presse gewohnt gern wie eh und je. Vor- zugsweise im schweizerischen Zug am See. Denn dort residiert neben vielen anderen Multis nicht von ungefähr auch Putins, pardon: Russlands Gasprom, Schröders Arbeitgeber und Geldbringer.

Artikel vom 12.10.2006