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Geheimer Chef
der Akademie

Literaturnobelpreis wird vergeben

Von Thomas Borchert
Stockholm (dpa). Harold Pinter ist für die Stockholmer Nobeljuroren nur »Harry Potter« gewesen. So lautete der Deckname des 76-jährigen englischen Dramatikers in der Schwedischen Akademie, ehe ihm im vergangenen Jahr der Literaturnobelpreis zuerkannt wurde. Der wirkliche Name durfte nie benutzt werden, damit nur ja nichts nach außen dringen konnte.

Vor der Bekanntgabe des berühmtesten Literaturpreises der Welt heute hat Akademie-Sekretär Horace Engdahl offenbart, dass die zum Teil schon recht betagten Juroren auch sonst mehr und mehr Verhaltensregeln wie Geheimagenten zu befolgen haben. In einem Interview berichtete der 57-Jährige, dass Anwärter in Mails nie beim Namen genannt werden dürfen. Alle Kandidatenlisten werden nach jeder Sitzung verbrannt. Gespräche zwischen Akademiemitgliedern im Stammrestaurant dürfen nur bei Verwendung von Decknamen für Kandidaten laut geführt werden.
»Ich glaube, wir halten jetzt dicht. Früher hat die Akademie ja geleckt wie ein Sieb«, fasste der Sekretär das Ergebnis seiner Tätigkeit als Akademiechef seit 1999 zusammen. Gerne hebt er vor Journalisten heraus, dass er als junger schwedischer Soldat auch eine Ausbildung in »Verhörtechnik« genossen habe, die ihm nun bei der Fahndung nach geschwätzigen Nobeljuroren zugute komme.
Freunde, Kritiker und Gegner erkennen an, dass Engdahl die Vergabe des Literaturnobelpreises mit seinen Geheimdienstmethoden zu einer echten Geheimsache gemacht hat. Entsprechend selbstbewusst äußert sich der Literaturwissenschaftler inzwischen auch über alle anderen Fragen rund um die Akademie. Die nominell 18 Mitglieder zusammenzuhalten sei »schlimmer als eine Ehe«.
Über die nach dem Tod von zwei Mitgliedern gerade abgeschlossene Nachwahl durch die Akademie selbst sagte Engdahl, es gebe immer weniger geeignete Kandidaten. »Gewisse charakterliche Anforderungen« seien auch mit Blick auf die wöchentlichen Akademiesitzungen zu erfüllen: »Entscheidet man sich für einen Schäferhund als Träger des Literaturnobelpreises, ist man den nach einer Woche los. Aber ein Akademiemitglied hat man Jahr um Jahr jeden Donnerstag am Hals.«
Die über 200 Jahre alten Statuten sehen eine unauflösbare Mitgliedschaft bis zum Tode vor. Deshalb wird die Schriftstellerin Kerstin Ekman (73) immer noch als Mitglied geführt, obwohl sie schon 1989 aus Protest gegen das Schweigen der Akademie zur Verfolgung Salman Rushdies ihre Mitarbeit für immer eingestellt hatte. Beim Aushandeln der Preisträger herrsche »Katakombenstimmung«, beschrieb sie ihre Eindrücke und nannte die Preisvergabe ein »Rokokotheater«.

Artikel vom 12.10.2006