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Ein wahres Paradies für Literaten

Lesung mit dem indischen Schriftsteller Paul Zacharia in der Stadtbibliothek

Von Bernhard Hertlein
Bielefeld/Trivandrum (WB). Der südwestindische Bundesstaat Kerala ist ein Paradies für Literaten. Fast 100 Prozent der dortigen Bevölkerung können nicht nur lesen und schreiben -Êsie tun es auch in sehr großer Zahl.

Kerala ist die Heimat des Schriftstellers Paul Zacharia (61). Von der Frankfurter Buchmesse kommend, wo Indien in diesem Jahr als Gastland eine besondere Rolle spielte, las er beim dritten Abend der Literaturtage 2006 in der Zentralbibliothek der Bielefelder Stadtbücherei zwei Kurzgeschichten aus seinem im Horlemann-Verlag erschienen Erzählband »Bhaskara Pattelar«.
Genaugenommen las er selbst nur wenige Sätze in Malayalam - seiner und der Muttersprache von etwa 30 Millionen Menschen in Indien. Doch auch die von Barbara Frey (Tunnel-Theater) vorgetragene deutsche Übersetzung strahlte noch viel von der Magie aus, die den Texten Zacharias innewohnt.
Widersprüchliche Gefühle löst da die Leiche der Dorfschullehrerin aus, die scheinbar friedlich an einem Karfreitag unter einem Gebüsch gefunden wird: keine Gewalt, keine Verletzungen. Die inneren Beschädigungen, die den Tod von Annamamma herbeigeführt haben, offenbaren sich erst langsam. Die Lehrerin durfte nicht heiraten und weggehen, weil die elterliche Familie zeitlebens das Gehalt ihrer Tochter für sich beansprucht hat.
»Sie war die Kuh, die von den anderen gemolken wurde«, erklärte Zacharia. Und während der Autor einschränkte, dass dieses Frauenschicksal heute für seine Heimat nicht mehr typisch sei, stellte sich den Zuhörern die Frage, ob es nicht auch in Deutschland eine Zeit gab, in der Frauen in einem vergleichbaren familiären Gefängnis steckten. Zacharia nahm sich nach der Lesung sehr viel Zeit, die zahlreichen Fragen der etwa 40 Zuhörer zu beantworten. Als Christ syrischer Konfession geboren berichtete er unter anderem, dass auch unter seinen Glaubensgenossen die eigentlich verbotene Mitgift, die viele Arme in Indien weiter in die Verschuldung treibt, von den Eltern der Braut eingefordert werde.
Rosemarie Kelle vom Deutsch-Indischen Freundeskreis in Bielefeld stellte Möglichkeiten vor, den vielen Notleidenden in Indien - 30 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze - zu helfen.
Als nächster Gast wird Felicitas Hoppe am kommenden Montag, 16. Oktober, um 20 Uhr in der Stadtteilbibliothek in Dornberg aus ihren Werken lesen.

Artikel vom 14.10.2006