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Das NS-System
überlistet?


Auf das gleiche Thema nimmt dieser Leser Bezug:
Es entspricht dem Zeitgeist und der Suche nach »Aufreißern«, die mehr als 60 Jahre zurückliegende NS-Zeit im Sinne dessen »aufzuarbeiten«, was manche heute überheblich als politische Korrektheit bezeichnen. Das ist zum einen ungefährlich, weil sich die zumeist längst Verstorbenen nicht mehr wehren können. Zum anderen kann man bei dieser Gelegenheit einem angesehenen Mann der Kirche mit erhobenem Zeigefinger Verfehlungen der übelsten Art vorwerfen, ihn als Unperson vorführen und an die Wand nageln.
Wer sich zur »Aufarbeitung der Vergangenheit« berufen fühlt, möge sich zunächst einmal mit dem zeitnahen Problem beschäftigen, daß die »unaufgearbeiteten Funktionäre der SED« bereitstehen, Mehrheitsbeschaffer der Regierungsbildung in Berlin zu sein.
Pastor Kuhlo war einige Male zu Gast in meinem Elternhaus. Weder bei den Tischgesprächen noch bei privaten Unterhaltungen war der Nationalsozialismus ein Thema, sehr wohl aber die Verkündigung durch Wort, Tat und Musik. Von nationalsozialistischen Umtrieben des »Posaunengenerals« habe ich nie etwas erfahren.
Deshalb bin ich entsetzt, in welch übler Weise nach so langer Zeit die Verdienste einer ungewöhnlichen Persönlichkeit in den Schmutz gezogen werden. Ist die Kunst, mit Respekt zu schweigen, so schwer zu erlernen? Üble Nachrede läßt viel Gestank zurück.
Pastor Kuhlo war ein Mann von ungewöhnlicher Herzlichkeit. Als manchmal recht eigenwilliges Original löste er Irritationen aus. Dazu gehörte es, daß Pastor Kuhlo niemals den »Hitlergruß« verwendete. Damals ein anstößiges Verhalten, das Verdächtigungen und Nachforschungen auslösen konnte. Sein Parteibuch, von dem wir allerdings nichts wußten, war dabei sicherlich ein guter Schutz.
Kuhlo hat nicht einen einzigen Posaunenchor zu einer Hitlerjugendkapelle verbogen. Könnte es sein, daß ein in seinem Glauben festgefügter und weitsichtiger Mann es verstanden hat, die Spielregeln des Nationalsozialismus sowie die des Reichskirchenministeriums listig zu unterlaufen und sie geschickt für seine Spielregeln zu nutzen, um auf lange Zeit zu retten, was zu retten sich lohnte?

MARTIN WIEHAGE33 824 Werther

Artikel vom 13.10.2006